Sehr gelungenes Experiment!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
webster Avatar

Von

Was für ein Experiment! Die Geschichte des Huckleberry Finn wiedererzählt aus der Sicht, mit der Sprache und mit den Gedanken Jims, dem Sklaven und Freund von Huck.
Und wie es nun einmal mit Experimenten ist: Mitunter gelingen sie – mitunter aber auch nicht.
Percival Everett ist das Experiment gut gelungen!

Als Leser der Abenteuer von Tom Saywer und Huckleberry Finn war ich von diesem Projekt Everetts direkt angetan, gleichwohl aber auch ein wenig skeptisch.

Ganz wunderbar führt uns Everett das Denken der Weißen vor Augen. Miss Warthon nimmt ein paar (sicherlich gutgemeinte) Verbesserungen an einem Familienrezept für Cornbread vor. Eine weiße Hausfrau wird doch an einem schwarzen Rezept immer noch Verbesserungen unterbringen können…
Ihr Küchentuch muss schnell wieder an sie zurückgegeben werden, weil sich die Weißen derartiges immer merken...
Auf der anderen Seite wird m.E. sehr gut nachvollziehbar und auch realistisch (sofern mir dieses Urteil überhaupt zusteht) wie sich die Schwarzen in ihr Schicksal ergeben und gleichzeitig stolzer sind, als ihre weißen sogenannten Herren es sich vorstellen können.

Everett hat nicht einfach eine neue Umgebung und eine gänzlich neue Geschichte mit den bekannten Figuren Saywer und Finn ersonnen; nein, er setzt auf die die bereits vorhandene von Mark Twain. Das führt zu einem wohligen Gefühl beim Lesen, da man altbekannte Charaktere wiedertrifft, wie Huck, Richter Thatcher, Miss Watson und eben auch Jim bzw. James.
Auch Hucks Vater spielt seine Rolle – bis hin zum Kreuz in seiner Schuhsohle, welches man auch noch aus den Abenteuern von Huck Finn kennt.

Wer die Abenteuer Huck Finns nicht gelesen hat kann dieses Buch nicht in Gänze genießen und auch nicht die tolle Umsetzung einer tollen Idee einwerten. Dies ist auf der einen Seite ein Kritikpunkt aber auch ein Lob. Denn für diejenigen, die die Abenteuer kennen, ist es ein Genuss.

Everett gelingt zudem die Platzierung einer seiner Fantasie entsprungenen Überraschung, die die Beziehung von James zu Huck betrifft und ein versöhnliches Ende.

Ein sehr gut gelungenes Buch, welches uns an die Hand nimmt, zu uns bekannten Schauplätzen und Charakteren, uns die Brille des schwarzen Sklaven aufsetzt und uns veranschaulicht, dass es nicht nur die von uns wahrgenommene Wahrheit gibt, sondern mindestens auch noch immer eine weitere.

Sehr starkes Buch – auch für Jugendliche geeignet und zu empfehlen. In jeden Fall aber vorher die Abenteuer von Tom Sywer und Huckelberry Finn lesen!