erschreckend nah an der Realität

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
elohym78 Avatar

Von

Ein Flugzeug kracht in den Reichstag.
Die Twin Towers in Frankfurt stehen in Flammen.
Deutschland wird von Terroranschlägen erschüttert und die Welt hält den Atmen an.

Doch alles ist ein Fake von Internetaktivisten, die für ein freies Internet kämpfen. Was anfangs aufrüttelnd wirkt, wird schnell zu einer nationalen Bedrohung. Doch genau für solche Zwecke wurde die SE Glashaus ins Leben gerufen, die mit allen Mitteln gegen Godspeed, den selbsternannten Herrn des Internets vorgeht. Doch mit diesem Ausmaß an Gewalt hat keiner gerechnet.

Das Cover zeigt den geheimnisvollen Hacker Godspeed. Sein Gesicht verborgen hinter einer Kapuze, die Gestalt eher unförmig dank der Bekleidung, kann es jeder sein. Im Hintergrund wimmeln Codes, die nur ein Computerfachmann zu lesen vermag. Dieser Teil ist düster und wirkt auf mich bedrohlich. Unter dieser schier übermächtigen Gestalt, ist das sonnige Berlin. Die Kuppel des Reichstags , die Spree und das Regierungsviertel liegen friedlich im Sonnenschein, wie wenn keine Bedrohung den Frieden jemals stören könnte. Gerade die Gegensätze in dem Coverbild finde ich toll und haben mich neugierig auf das Buch gemacht.

Das Thema Internetkriminalität wird immer aktueller und rückt mehr und mehr in den Blickwinkel der Öffentlichkeit. Ich finde es faszinierend und beängstigend zu gleich. Auf der einen Seite schreit jeder nach mehr Überwachung, aber wo wird uns diese hinführen? In die Sicherheit oder in größere Gefahr, da wir nur noch gläserner werden? Dieses Thematik greift Christian Gailus gekonnt auf und spielt mit meinen wildesten Ängsten, schenkt mir allerdings auch gleichzeitig ein beruhigendes Gefühl, dass irgendwo im Hintergrund schon jemand auf mich aufpasst. Oder?

Christian Gailus nahm dieses Thema gekonnt und spannend in Angriff und erschuf einen packenden Thriller, der nicht nur von der Handlung allein sehr gelungen ist, sondern auch aufgrund der Thematik. Völlig überrascht hat mich, wie er seine Idee umsetzte, da er immer wieder gedanklich umschwenkte, so dass ich überrascht war. Immer wenn ich gedanklich fünf Schritte der Handlung voraus war und mir einen Handlungsstrang zusammen gesponnen hatte, konnte ich unter Garantie davon ausgehen, dass Geilus in eine ganz andere Richtung ging. Vom packenden Actionthriller hin zu einem mysteriösen Sience-Fiction-Roman, hin zu einem verworrenen Krimi. Viele Stilrichtungen waren vertreten ohne dass es unruhig oder unübersichtlich wurde. Aber egal wohin sich alles entwickelte, eins war es immer: Spannend!
Ich genoss es in vollen Zügen, mit den Ermittlern durch Berlin zu eilen, von einem Schauplatz zum nächsten, aber genauso interessant fand ich die Ermittlungen im Internet! Ich selber kenne mich mit dem ganzen Hintergrundwissen zu Computern überhaupt nicht aus und bin froh, wenn ich meinen bedienen kann. Trotzdem nahm der Autor mich mit und verlor weder sich noch mich in langweiligen oder langatmigen Beschreibung über Bits und Byts. Und doch bekam ich einen verständlichen Einblick dessen, was technisch möglich sein könnte und vermutlich wirklich machbar ist.

Mindestens genauso vielschichtig fand ich auch die Charaktere. Um ehrlich zu sein bin ich mir gar nicht mal so sicher, ob ich die Handlung oder die Personen besser fand. Zusammen war es zumindest ein grandioser Lesegenuss und ergänzte sich in allen Teilen einfach wunderbar; wie Zahnrädchen, die nahtlos ineinander greifen.
Am besten gefiel mir der Expolizist und Exsoldat Mark West. Bei einem Einsatz in Afghanistan schwer verwundet, sollte er wegen seines Schädel-Hirn-Traumas eigentlich in den Ruhestand, aber Jörg Warninger, der Leiter der Sondereinheit, kämpfte für ihn. Denn West besitzt ein schier untrügliches Gespür für Menschen und Situationen. Diese sind jedoch gestört, da ein Teil seines Gehirns schwer beschädigt wurde. Immer wieder kämpft er mit Aussetzern und unerklärlichen Verhaltensmustern. Mir als Leser wurde schnell klar, was mit West nicht stimmt und ich fand es traurig und erschreckend zu beobachten, wie sehr er sich quält. Sich quält und trotzdem die beste Arbeit abliefern will. Nicht nur für sich, sondern auch seiner Kollegen willen.
Unterstütz in dieser schweren Zeit wird er von der ehemaligen Staatsanwältin Julia Murnau. Beide scheinen sich gegenseitig Halt zu geben. Bei der Arbeit, aber auch emotional.
Christian Gailus stellte seine Charaktere authentisch und lebensnah vor. Nicht immer konnte ich ihnen folgen, aber ich versuchte es. Manchmal war ich nah bei ihnen, doch es gab auch Momente, bei denen ich nur von außen auf sie blickte.

Mein Fazit
Ein überraschender Thriller, der mich mit seiner Vielschichtigkeit überraschte und überzeugte!