Bereichernd, berührend, beeindruckend

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minijane Avatar

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"Junge Frau am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" ist ein recht ungewöhnlicher Titel für einen Roman und hat mich neugierig gemacht. Das Buch hat mich in der Folge dann aber sehr positiv überrascht , weil es wirklich ein Highlight geworden ist.

Erzählt wird die Geschichte der 27 jährigen Hannah Borowski , die sich auf Spurensuche ihrer eigenen Wurzeln begibt. Bei einem ihrer regelmäßigen Besuche im Pflegeheim ihrer Oma, fällt Hannah ein Brief einer israelischen Anwaltskanzlei in die Hände. Man trägt ihrer Großmutter an, die Kanzlei mit der Abwicklung eines Restitutionsverfahrens zu beauftragen, da sie die einzige lebende Erbin des 1942 von den Nazis deportierten und ermordeten Kunsthändlers Itzig Goldmann ist. Es sei zu vermuten, dass auch die umfangreiche Kunstsammlung von Goldmann unrechtmäßig konfiziert worden sei.

Hannah war nicht einmal bekannt, dass es in ihrer Familie Juden gab, und ihre Großmutter Evelyn ist alles andere als auskunftsfreudig. Es beginnt eine spannende Reise in die Familienvergangenheit, bei der Hannah nach und nach das Schicksal ihrer Urgroßeltern aufdeckt und immer mehr über ihre Großmutter und ihre eigene Mutter erfährt .Interessant, wie sich die Geschichte manchmal wiederholt, wie sich die Mutter-Tochter Beziehungen in dieser Familie ähneln. Der Roman umfasst eine Zeitspanne von fast 100 Jahren, beginnend mit Hannah's Urgroßmutter Senta, die in den 20er Jahren ungewollt schwanger wird und den Kindsvater notgedrungen heiratet. Als die Ehe zerbricht und Senta ihrer Freundin von Rostock nach Berlin folgen möchte, muss sie ihre Tochter Evelyn zurücklassen. Senta heiratet in Berlin den Juden Julius Goldmann und erlebt mit ihm und seinen Eltern das ganze Ausmaß an Schrecken der Nazidiktatur.

Dass Hannah in der Jetztzeit in ihrem Leben irgendwie feststeckt, mit ihrer Dissertation nicht vorankommt und eine eher unglückliche Liebesaffaire mit ihrem Doktorvater hat, hat vielleicht auch unbewusst damit zu tun, dass es so viele Lücken in ihrer Vergangenheit, in ihrer Familiengeschichte gibt. Die Aufarbeitung hilft ihr letztendlich sich weiterzuentwickeln.

Alena Schröder hat einen tollen Schreibstil, den ich sehr genossen habe. Ihre Figurenzeichnung fand ich sehr realitätsnah und überhaupt nicht eindimensional. Die Charaktere haben wie im wahren Leben viele Facetten, sind nicht nur gut oder böse. Dabei verzichtet die Autorin darauf das Verhalten ihrer Figuren zu bewerten oder gar zu verurteilen. Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, was dem Roman Tiefe und Vielschichtigkeit verleiht.

Auch das Ende dieser berührenden Familiengeschichte ist rund und stimmig, Ich habe die Lektüre sehr gemocht, bin wirklich durch die Seiten geflogen und kann den Roman nur jedem ans Herz legen, der tiefgründige Generationenromane mag.