Erbe der Vergangenheit

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bobbi Avatar

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Alena Schröder spannt einen weiten Bogen über zwei grausame Weltkriege, Mutter-Tochter-Verhältnisse, das moderne Leben einer jungen, rastlosen Studentin in Berlin – und das Erbe ihrer verschwiegenen Vergangenheit. Denn Hannah hält eines Tages bei ihrer einzig noch lebenden Verwandten einen Brief in der Hand, der alles ändern wird: Sie ist mögliche Erbin eines Vermeers (der den Titel des Buches trägt), der auf einer Raubkunst-Liste geführt wird. Hat Hannah jüdische Wurzeln? Warum wurde nie darüber geredet? Ihre starrsinnige Großmutter Evelyn will partout nicht über das Vergangene sprechen, Hannah ist auf sich und ihre Recherchen alleine gestellt. Während sie ihre Zerrissenheit und Traurigkeit mit einer Affäre mit ihrem älteren Doktor-Vater betäuben möchte, kommt ihr der Geschichtsstudent Jörg mit seinen Erkenntnissen rettend zur Seite. Das ist Schröders Erzählebene Eins, die in der Gegenwart spielt.

In der zweiten Ebene geht die gelernte Journalistin in ihrem Debüt weit zurück in die Vergangenheit und der Leser trifft auf weitere Generationen und interessante Frauen: 1923 lernt die junge Senta den Piloten Ulrich kennen und lieben und wird unverhofft schwanger. Doch als Hausfrau und Mutter wird die aufgeweckte Senta nicht glücklich, im Gegenteil. Sie lässt ihre Tochter zurück und zieht zu ihrer Busenfreundin Lotte nach Berlin. Senta wird Journalistin und geht mit Redakteur Julius Goldmann eine glückliche zweite Ehe ein. Sie werden Persönlichkeiten in der Berliner Kunstszene, doch der Zweite Weltkrieg mit all den Gräueltaten an der jüdischen Bevölkerung steht zum Greifen nahe.

Alena Schröder entwirft ihre Charaktere sehr authentisch, menschlich und mit einem bunt gefüllten Innenleben – Schmerz trifft auf Freuden, die Schrecken der Nationalsozialisten auf das schillernde Berlin der 20er-Jahre, Gegenwart auf Vergangenheit. Die Fakten rund um die NS-Raubkunst und deren Aufarbeitung sind gut recherchiert und es macht Spaß, sogartig in die atmosphärische und flüssig geschriebene Geschichte einzutauchen. Manches fand ich etwas stereotyp erzählt, aber größtenteils sind die Figuren so glaubwürdig gezeichnet, dass man am Ende denkt, nicht einer fiktionalen, sondern wahren Familiengeschichte beigewohnt zu haben, die von einem gestohlenen Gemälde literarisch sehr geschickt über fast 100 Jahre zusammengehalten wird. Als Leser fiebert man bei den verschiedenen Lebenslinien und Entscheidungen der Frauen mit und die großen Zeitsprünge geben der Geschichte den passenden Spannungsbogen. Ein gelungener Erzählkniff der Autorin, so gekonnt persönliche Schicksale mit wahren historischen Begebenheiten ineinander zu führen und zudem das Tabuthema Mutterschaft-Bedauern miteinzuweben.