Lebens-Kunst

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"Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" ist das literarische Debüt von Alena Schröder, einer deutschen Schriftstellerin, Kolumnistin und Journalistin , die vom Erbe unserer Mütter erzählt.

Berlin, 2017. Die 27-jährige Hannah Borowski bekommt einen Brief, der sie als mögliche Erbin eines verschollenen jüdischen Kunstvermögens ausweist. Warum weiß sie nichts von ihrer jüdischen Familie? Warum will ihre Großmutter Evelyn — ihre einzige lebende Verwandte — nicht darüber sprechen?
Rostock, 1924. Senta Köhler, 18 Jahre alt, ist ungewollt schwanger. Der Vater des Kindes, ein hochdekorierter Fliegerheld aus dem Ersten Weltkrieg, verspricht, sie zu heiraten. Den Plan, mit ihrer besten Freundin Lotte nach Berlin zu gehen, muss sie begraben. Als die Ehe nach zwei Jahren zerbricht, stellt Sentas Mann sie vor eine Entscheidung: Er willigt nur in die Scheidung ein, wenn Evelyn, die gemeinsame Tochter, bei ihm bleibt. Senta geht ohne ihr Kind nach Berlin. Berlin, 1927. Senta findet Arbeit beim Berliner Tageblatt und steigt von der Schreibkraft zur Journalistin auf. Sie heiratet einen jüdischen Kollegen, Julius Goldmann, dessen Vater Itzig ein angesehener Kunsthändler ist. Sie und ihr Mann werden Teil der Berliner Kunst- und Kulturszene. Schließlich fliehen beide vor den immer stärker werdenden Repressalien der Nationalsozialisten. Erst fast hundert Jahre später schließt sich der Kreis.

Das wunderschöne Cover ist ein echter Hingucker in jeder Buchhandlung. Der Hintergrund ist in einem schlichten Dunkelblau gehalten, von dem sich üppige, in verschiedenen Brauntöten schimmernde Blüten und fein stilisierte Vögel wirkungsvoll abheben. Auch der ausgefallene Titel, der an eine kurze sachliche Beschreibung eines Kunstwerkes erinnert, ist perfekt in einem cremefarbenen Kreis in Szene gesetzt worden.

"Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" ist eine außergewöhnliche historische Familiensaga, die von vier (komplizierten) Generationen von Frauen erzählt. Auf den ersten Blick weisen sie keinerlei Gemeinsamkeiten auf, dennoch ziehen sich schwierige Mutter-Tochter-Beziehung wie ein roter Faden durch das gesamte Buch, das aus wechselnden Erzählperspektiven und zeitlichen Ebenen von den Goldenen Zwanziger Jahren bis zur aktuellen Gegenwart (2017) erzählt wird.

Weder der stetige Perspektivenwechsel noch die zeitlichen Sprünge stören den Lesefluss; im Gegenteil, diese packende Lektüre hat mich gleich in ihren Bann gezogen und nicht mehr losgelassen. Alena Schröder hat sämtliche Charaktere gründlich ausgearbeitet; sie zeigt bestimmte Typen von Menschen, wie wir sie aus dem realen Leben kennen. Ihr Buch kreist vordergründig um verschollene Kunstwerke, die ihren rechtmäßigen (jüdischen) Besitzern während des Nationalsozialismus gestohlen und beschlagnahmt worden sind. Gleichzeitig werden viele weitere komplexe Frauen-Themen (Emanzipation, Selbstverwirklichung, Vereinbarung von Erwerbstätigkeit und Mutterschaft usw.) gestreift.

"Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" ist keine einfache, aber eine fesselnd geschriebene, mitreißende Lektüre, die nicht nur kunstinteressierte Leser begeistern wird. Für mich ist dieses faszinierende Buch ein literarisches Kunstwerk und mein absolutes Lese-Highlight im Januar 2021.