Man bleibt selbst ein Teil der Vergangenheit

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frollein_wunderbar Avatar

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Evelyn steht am Ende ihres Lebens, eine distanzierte, etwas herrische alte Frau. Auf ihr bewegtes Leben blickt sie nicht gern zurück. Ihre Enkeltochter Hannah ist die letzte Angehörige, die ihr geblieben ist - und auch andersherum ist Evelyn für Hannah die letzte Verwandte. Als die junge Frau einen Brief findet, in dem eine Kanzlei um Kontaktaufnahme wegen verschollener Kunstwerke aus einem jüdischen Nachlass bittet, will Hannah herausfinden, was es mit Evelyns Familiengeschichte auf sich hat - ob diese es gutheißt oder nicht.

Es handelt sich hier um eine ganz besondere Familiengeschichte, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit Evelyns Mutter beginnt und deren Leben zu großen Teilen begleitet wird. Abwechselnd, Kapitel für Kapitel, wird aus der Vergangenheit erzählt, dann wieder aus der Gegenwart, was einen unheimlichen Lesesog entwickelt hat, da sich nach und nach das Rätsel lüftet, warum Evelyn ist, wie sie ist, was ihre Gefühls- und Gedankenwelt ausmacht, was sie und ihre Familie erlebt hat. Wir lernen aber auch Hannah nach und nach kennen, die ziellos ist und in vielem nicht weiß, wo sie steht.
Die Figuren, eine gut überschaubare Anzahl für die 360 Seiten des Buches, wurden mir sehr vertraut. Allesamt sind keineswegs unfehlbar, sondern werden authentisch und ganz wunderbar unperfekt beschrieben, so dass man sie einerseits anklagen möchte, andererseits aber auch Verständnis für sie aufbringt.
Die liebevolle, detaillierte Charakterzeichnung und die Sprache, die mit einer so treffenden Wortwahl aufwartet, waren für mich so hervorstechende Eigenschaften, dass das Buch wirklich eine große Lesefreude für mich war.
Für einen Debütroman ganz außerordentlich stimmig und harmonisch.