Ein schmerzhaftes Highlight

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Wie sehr kann uns Dauerstress eigentlich zermürben? Wann ist ein Unwohlsein mehr als nur Einbildung? Und welchen Platz darf Krankheit in einer Welt haben, die von Leistung getrieben wird?
Ich muss zugeben, ich habe „Lügen über meine Mutter“ damals nicht gelesen – zu nah, zu schmerzhaft war mir das Thema. Aber „Junge Frau mit Katze“? Allein der Titel hat mich geködert.

Wir begleiten Ela, Doktorandin in Literaturwissenschaften, kurz vor ihrer Promotion und zugleich am Limit ihrer Kräfte. Ein Körper, der ständig rebelliert, eine endlose Liste an Symptomen, Arzttermine, in denen sie nicht ernst genommen wird – und die zermürbende Frage: Reagiere ich über oder stimmt tatsächlich etwas nicht?
Während Ela Ursachenforschung betreibt, holt sie auch die familiäre Vergangenheit ein: eine Mutter, die unberechenbar bleibt, ein Bruder, der sich für alles schämt, eine beste Freundin, die an Globuli glaubt – und mittendrin eine Katze, die vielleicht gar nichts dafür kann.

Was zunächst wie eine lose Aneinanderreihung von Krankengeschichten wirkt, entfaltet sich rasch zu einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit weiblicher Verwundbarkeit, mit der Erfahrung, Patientin in einem unübersichtlichen medizinischen System zu sein, und mit der Frage, was es bedeutet, in einer Zeit, die Leistung über alles stellt, nicht mehr „zu funktionieren“. Dabei bleibt Ela weit mehr als eine Figur, die nur klagt – sie ist widersprüchlich, klug, verletzlich und wehrhaft zugleich. Genau diese Mehrdimensionalität macht die Lektüre so eindringlich.

Daniela Dröscher zeigt schonungslos, wie patriarchale Strukturen auch im medizinischen System wirken: Wer nicht ins Schema passt, wird ignoriert, kleingeredet oder in die Psycho-Ecke geschoben. Krankheit ist hier kein individuelles Versagen, sondern Symptom einer Gesellschaft, die Frauenkörper nur dann ernst nimmt, wenn sie funktionieren – und nur dann wahrnimmt, wenn sie ins gewünschte optische Raster passen.

Neben der Erzählung hat mich Dröscher mit ihrer Sprache absolut umgehauen. Mein Exemplar ist übersät mit Eselsohren. Sie tanzt mit den Worten – nahbar, ohne jemals abgehoben zu wirken, klar und präzise, mal lakonisch, mal poetisch. Vielleicht ist es die japanische Literatur, die sie in Form von Zitaten von Yoko Tawada jedem Kapitel voranstellt, die diese Leichtigkeit trägt. Zugegeben: Mit Autoren wie Murakami oder Ishiguro habe ich mich früher oft schwergetan, doch diese Textsplitter berühren mich sofort.

Die einzelnen Kapitel tragen die Titel bekannter Romane, stets stimmig gewählt und oft wie kleine Kommentare zum Inhalt. Zwischendurch blitzen altdeutsche Begriffe aus Grimms Märchen auf – geschickt und mit liebevoller Hand eingewoben. All das macht das Buch auch zu einer Hommage an die Literatur selbst. Ich liebe Dröschers Art, zu schreiben: Ela ist als wissenschaftlich geprägte Erzählerin glaubwürdig und reflektiert, zugleich nahbar und emotional. Sie will verstehen, was mit ihrem Körper geschieht, kann die emotionale Dimension dabei aber nie ganz ausblenden. Sie denkt nach, verwirft, widerspricht sich – und genau das macht sie so authentisch.

Ein Buch, das unbequem ist, präzise beobachtet und sich weigert, die Dinge glatt zu erzählen. Mir hat es trotz der aufreibenden Thematik wahnsinnig gut gefallen!