Zwischen Krankheit, Selbstfindung und (vermeitlichem) „Besser sein“

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downey_jr Avatar

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Daniela Dröschers Buch „Lügen über meine Mutter“ ist ein Buch, das zwar nicht „bequem“ zu lesen war, jedoch thematisch wie inhaltlich einiges zum Nachdenken bot und mir insgesamt sehr gut gefallen hatte.

Thematisch geht es bei der Autorin seitdem stets um Klassismus und (soziale) Herkunft, z.B. im Sachbuch „Zeige Deine Klasse“ (teilweise gelungen, wenn auch etwas überzogen) und im kleinen Format z.B. in der Mini-Anthologie „check your habitus“ (fand ich sehr gelungen).

Auf ihren autofiktionalen Roman „Junge Frau mit Katze“ war ich sehr gespannt.
Die junge Ela, die lebenslang quasi im Schatten ihrer (mehrgewichtigen) Mutter stand, ist erwachsen geworden. Sie ist die erste ihrer Familie, die Abitur hat und studiert (was schon in allen Veröffentlichungen bis zum Abwinken betont wurde). Sie steht kurz vor der langersehnten Promotioin, als ihr Körper plötzlich streikt.
Während die junge Frau von Arzt zu Arzt rennt, von einer (falschen?) Diagnose zur nächsten, und ihr Körper ständig neue Symptome zeigt, ihre Panik immer größer wird, muss sie sich fragen, ob sie wirklich einen Platz in der akademischen Welt „verdient“ hat ....
Diese Krankheits- sowie Lebensgeschichte ist natürlich eine sehr persönliche und somit schwer zu beurteilen, egal ob es als Roman oder Sachbuch geschrieben wäre.
Gegen Ende hin findet sich eine etwas lasche und fragwürdige Erklärung sowie eine passend zusammengeschriebende Selbstfindung der Protagonistin.

Das Buch lässt mich leider zwiegespalten bzw. mit eher unangenehmen Gefühlen zurück.

Es gibt diese leider weit verbreitete Denkweise, dass nur die-/derjenige etwas wert ist, die/der "es geschafft hat", sprich Abitur hat, studiert hat, Karriere gemacht hat, damit sozusagen bewiesenermaßen "etwas Besseres“ ist.
Ich dagegen denke, kein Mensch ist mehr oder weniger wert als ein anderer, ungeachtet von Herkunft, Rasse, Geschlecht, Status oder Beruf, etc.

Schon das Buch „Lügen über meine Mutter“, was mir ja eigentlich gut gefallen hatte, rief in mir teils gemischte Gefühle hervor. Diese Gefühle waren bei diesem Roman noch viel stärker, nicht nur gemischt, sondern größtenteils entwickelte ich eher abweisende und negative Gefühle der Autorin bzw. ihrem literarischen Alter Ego gegenüber. Auch sie möchte bis zur Besessenheit, bis zum körperlichen Zusammenbruch beweisen, dass sie „es schaffen“ kann, etwas „Besseres“ zu werden, ihr Leben mit einer akademischen Karriere aufzuwerten.

"Ich las die Beurteilung abermals, dieses Mal jedoch mit einer gewissen Verärgerung. Ich hatte das Gefühl, die Zweitprüferin bewertete nicht meine Leistung, sondern mich als Person. Ganz so, als wäre ich jemand, der kein 'summa' verdiente, ganz gleich was ich tat oder nicht tat."

Erst als sie einsehen muss, dass ihr Körper ihr zu verstehen gibt, dass das nicht der richtige Weg ist, sieht sie widerwillig ein, dass es andere Lebensentwürfe gibt.

"Ich glaube, dass eine Erkrankung tatsächlich oftmals zu einer Erweckung führt. Ich glaube aber auch, dass einzig und allein man selbst diesen Zusammenhang herstellen kan. Tut es ein anderer ungefragt an unserer Stadt, fahren wir - die Kranken - unsere Krallen aus.
Jede einzelne meiner Episoden war für mich die Geburt eines anderen Selbst. Nie sagt der Körper so deutlich 'ich' wie in den Momenten, in denen er um seine Existenz fürchten muss."

Leider hat mich die literarische Verarbeitung dieser Erkenntnis nicht wirklich überzeugen können.

Am besten fand ich noch die Einschübe über ihre Mutter, abseits des Romans.

"Ich frage mich, wie ihr Leben verlaufen wäre, hätte meine Mutter ihre Liebe zum Lesen verteidigt. Vor sich selbst, ihrem Mann, ihrem Vater. Die beiden wichtigsten Männer in ihrem Leben haben Bücher als unnötigen Luxus betrachtet.
Auch wenn meine Mutter das Lesen eine ganze Weile fast ganz aufgegeben hat - eine Erzählerin ist sie geblieben. Sie kann gut mit Wörtern, wie man so schön sagt. Sie genießt es, sich umsichtig und gewählt auszudrücken.
Ist ihr jeder Gedanke gekommen, selbst zu schreiben? Vielleicht schreibt meine Mutter, indem sie spricht. Nur dass ich - so kommt es mir manchmal vor - ihre einzige Leserin bin."

Insgesamt bleiben mir vom Buch ein paar gute Gedanken und Sätze, ja, - doch insgesamt hat mich das Buch leider ziemlich enttäuscht.