Zwischen Pill Shaming und Medical Gaslighting

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»Mit einem Mal lichtete sich der Nebel in meinem Kopf und hervor trat ein Gedanke, ein klarer, einfacher Gedanke. Ich kannte die Antwort auf die Frage. Mich selbst. Ich hatte mich selbst verloren.«

Daniela Dröscher erzählt in »Junge Frau mit Katze« eindrucksvoll die Geschichte von Ela, die kurz vor dem Abschluss ihrer Promotion steht – und deren Körper scheinbar plötzlich rebelliert. Zwischen Halsschmerzen, Herzrasen und Hautausschlägen beginnt eine Suche nach Ursachen, die weit über das Körperliche hinausgeht. Im Fokus steht die Frage, wie familiäre Prägungen und der eigene Anspruch, funktionieren zu müssen, sich tief in das Selbstbild einschreiben. Besonders berührend ist die leise, zugleich humorvolle Sprache, mit der Dröscher von Scham, Krankheit und Selbstzweifel erzählt. In Elas Erleben der medizinischen Betreuung spiegeln sich gleich zwei Probleme: 1.) Pill Shaming: sie ist jeglicher Medikation überkritisch eingestellt und verweigert ihre Einnahme in Erwartung von Nebenwirkungen beinahe hypochondrisch. 2.) Gender Health Gap: die systemischen Ungleichheiten in der medizinischen Forschung und Versorgung zwischen den Geschlechtern treffen auch Ela; als Frau werden ihr regelmäßig Symptome und Schmerzen abgesprochen. Daraus resultiert ein innerer Konflikt, ob ihre Beschwerden »echt« sind, und erzeugt in ihr mehr Druck, um stark, natürlich und gesund zu wirken. Denn wer Medikamente braucht, gilt oft als schwach und nicht belastbar. Genau hier liegt die Kraft des Romans: Er macht sichtbar, was sonst unsichtbar bleibt – die Angst, ernst genommen zu werden, die Scham, Hilfe zu suchen, und das Ringen darum, den eigenen Körper als Verbündeten zu begreifen. »Junge Frau mit Katze« ist ein ehrliches, kluges und sensibles Buch über Krankheit, Selbstakzeptanz und den Mut, Schwäche nicht länger zu verstecken – ein literarischer Aufruf, Scham durch Verständnis zu ersetzen!

Besonders spannend ist, dass es sich um den Nachfolgeroman zu »Lügen über meine Mutter« handelt. Während Dröscher hier noch die Kindheit der Erzählerin und das schwierige Verhältnis zur Mutter im Mittelpunkt hatte, knüpft sie nun an dieselben Figuren in einem späteren Lebensabschnitt an. Die junge Frau, die einst buchstäblich das Gewicht der familiären Erwartungen trug, ist nun erwachsen – doch die alten Stimmen, Schuldgefühle und Körperbilder wirken fort. Dadurch entsteht ein starkes literarisches Kontinuum, das zeigt, wie lange die Vergangenheit in uns nachhallt und wie Heilung oft ein lebenslanger Prozess bleibt. Leseempfehlung!