Im Fahrstuhl der Rache ist es kälter als kalt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
galaxaura Avatar

Von

„Kälter“ der neue Roman aus den Händen von Andreas Pflüger, 2025 erschienen bei Suhrkamp, ist ein unglaublich komplexes, spannungsgeladenes Meisterwerk mit mehr Thrill und Atemlosigkeit als alles, was ich dieses Jahr unter dem Label „Thriller“ gelesen habe, ein Pageturner mit extrem hoher schriftstellerischer Qualität, definitiv eines der besten Werke, die das Jahr 2025 hervorgebracht hat. Was startet wie ein betulicher Nordsee-Inselkrimi, bekommt schnell eine vollkommen ungeahnte Wendung und endet in einer weltpolitischen Verstrickung am Ende des kalten Krieges, die ihresgleichen vergeblich suchen dürfte.

Doch von vorn: Es ist Herbst 1989, und Lucy Morgenroth arbeitet als Inselpolizistin auf Amrum. Das Leben ist gemütlich und voller Wärme, man kennt sich, man schätzt sich, und die großen Fälle geschehen auf dem Festland, nicht auf Amrum. Doch als in einer Sturmnacht ein Inselbewohner von der Fähre verschwindet, deutet alles auf ein Verbrechen hin – und Lucy wird auf einmal mit ihrer Vergangenheit konfrontiert und kann sich nicht weiter vor ihr verstecken.

Was dann folgt ist ein unglaublich klug durchdachter Masterplot, der zu keinem Moment eine minimale Chance von Vorhersehbarkeit bietet und die Lesenden in ein wahnwitziges Netz aller Geheimdienste der Welt spinnt, in jeder Sekunde unglaublich packend und nervenzerreißend, auch brutal und hart, dieser Roman schenkt einem nichts. Außer einen enorm aufregenden Leseritt, bei dem man das Buch einfach nicht mehr aus der Hand legen und sich nur voller Bewunderung vor der Rechercheleistung des Autors verneigen kann. Geschickt verwebt Pflüger dabei Fakten mit Fiktion, untrennbar verbunden und nicht identifizierbar bis zum Nachwort – das auch nicht fehlt und wieder aufklärt, was hier wahr und was erfunden ist.

Lucy Morgenroth ist dabei eine Figur, die mir sehr nah ging und mich bewegt hat, keine kalte Ermittlerin, auch keine eiskalte Rächerin, in ihr steckt sehr viel Seele, auch wenn sie die Seele immer wieder mit einem Panzer überdecken muss. Das gelingt Pflüger sowieso herausragend, wie er den Figuren trotz all der Kälte des Romans Innenleben gibt, wie er sie durch ihre Handlungen ganz klar charakterisiert. Und überhaupt, was kann der Mann schreiben! Alles ist lebendig in diesem Roman, die ganze Objektwelt wird durchweg personifiziert, auch atmosphärisch eine Meisterleistung. Was ich nebenher über Geheimdienste gelernt habe, würde ich lieber wieder vergessen. Ob der kalte Krieg je wirklich vorbei war, fragen wir uns heute sicher alle täglich. Insofern ist dieser Roman leider auch brandaktuell. Möchten wir in diese Zeiten zurück? Ganz sicher nicht, denn in ihnen ist es kälter als kalt.

Eine unbedingte Empfehlung in diesen Kosmos einzutauchen und sich diese Glanzleistung von Andreas Pflüger nicht entgehen zu lassen. Hier würde ich gerne 10 Sterne vergeben. Das wird nicht der letzte Roman des Autors sein, der es in mein Regal schafft.

Ein großes Dankeschön an vorablesen.de und den Suhrkamp Verlag für das Rezensionsexemplar!