In der Welt der anderen

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owenmeany Avatar

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Relativ beschaulich startet die Story mit einer unterforderten Polizeiwache auf Amrum, die langsam in die Gänge kommt, als sie in einem Mordfall ermittelt. Nach etwa fünfzig Seiten nimmt die Sache Tempo auf und entwickelt sich mehr und mehr zu der reinsten Achterbahnfahrt im Geheimdienstmilieu, die bis nach Israel führt und Altnazis, korrupte Politiker, die RAF und Waffenhändler nicht nur unter die Lupe nimmt. Dreh- und Angelpunkt sind die Wende und die Maueröffnung, die noch einmal die gesamte Ost-West-Problematik zur Zeit des Eisernen Vorhangs auf den Kopf stellt.

Mit der Sprache geht Pflüger wie gewohnt virtuos um: er versteht es, Atmosphäre aufzubauen, besonders durch das Einflechten plattdeutscher Begriffe, aber auch Actionszenen filmreif durchzupeitschen, die er in ideenreich metaphorischem Stil regelrecht zelebriert, so wie in seiner Protagonistin offensichtlich zwei Seelen schlummern - die gefühlvolle und die gnadenlose. Luzie kann in einem Moment empfindsam sein und dann wieder unbarmherzig. Eine Masche des Autors sind die Songtitel aus der Popkultur, assoziativ fügt er sie in die passenden Sätze ein. Außerdem glänzt er dann und wann mit Bildungsfetzen (Schrödinger, Pessoa). Wenn er es mit der Coolness übertreibt, erinnert mich das Ganze an Tarantino-Filme.

Pflügers Weltbild ist ambivalent: einem radikalen Kameradschaftsethos unter Freunden steht grenzenlose Grausamkeit den Gegnern gegenüber, und da gibt es keine Grauzonen. Gut und Böse sind eindeutig festgelegt in einem schlichten Schwarz-Weiß-Schema, das den Feinden jegliches Lebensrecht abspricht und deren brutale Abschlachtung niemals hinterfragt. Seine Weltsicht bezüglich Glasnost und Perestrojka hat mich in der Rückschau etwas befremdet, aber die ausführliche Schilderung der Nacht des Mauerfalls in Berlin fand ich grandios.

Die für Agentenromane typischen Verwicklungen und Doppelidentitäten, dazu noch die streckenweise poetisch verschlüsselte Schreibweise ergeben eine den Leser fordernde Lektüre.

Ab dem zweiten Drittel beanspruchte dann aber doch das übermäßige Gemetzel meine Nerven, da ging mit dem überambitionierten Verfasser ein bisschen die Begeisterung für seine Formulierungskunst durch. In den immer neuen Wendungen, die mir am Ende zu heftig ausfielen, habe ich mich regelrecht verirrt.

Mein Fazit: Plüger kann es zweifellos, das weiß ich von seinen früheren Werken, aber hier hat er es einfach übertrieben.