Luzy räumt auf

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laberladen Avatar

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Darum geht’s:

Amrum ist seit acht Jahren die Heimat für die Polizistin Luzy Morgenroth und sie fühlt sich in der kleinen Gemeinschaft, in der niemand anonym bleiben kann, sehr wohl. Als der Bruder ihrer Freundin ermordet wird, muss Luzy wieder in das Leben zurückkehren, das sie vor Jahren zurückgelassen hat. Denn sie erkennt schnell, dass Geheimdienstprofis am Werk waren und ihre Vergangenheit sie eingeholt hat.

So fand ich’s:

Dass Luzy nicht die typische Dorfpolizistin ist, ahnen die Amrumer schon lange. Als sie aber ein Killerkommando ausschaltet, verblüfft das nicht nur ihr direktes Umfeld, sondern auch ich saß mit offenem Mund da. Dass Luzy gute Gründe hatte, mit ihrer Vergangenheit abzuschließen, zeigt sich in einem ausführlichen Rückblick auf die Zeit vor 8 Jahren, als ein missglückter Einsatz als Personenschützerin ihr Leben und ihre Karriere zerstörte.

Der Unterschied zwischen “heute” und “vor 8 Jahren” könnte nicht größer sein und doch muss Luzy versuchen, den Kreis zu schließen und gewissermaßen dort weiterzumachen, wo sie vor Jahren aufgehört hat. Ich mochte sie von Seite eins an, weil sie eine gute Freundin ist und gut mit Menschen kann, selbst als sie sich teilweise als eiskalter Racheengel erweist.

“Kälter” spielt zur Zeit des Mauerfalls und der Wiedervereinigung, als sich nicht nur die DDR in akuter Auflösung befand, sondern auch bei einigen Geheimdiensten kein Stein auf dem anderen blieb. An diese Zeit erinnere ich mich noch deutlich und war angetan davon, wie greifbar Andreas Pflüger diese Phase des Chaos und Umbruchs eingefangen hat.

Pflügers Sprache ist bildhaft und besonders bei den Kampfszenen hat er mein Kopfkino aufs Feinste angeregt (Belski klatscht den einen wie einen Lappen aufs Linoleum, und Luzy feudelt mit seinem Kompagnon hinterher). Man kann sich eine Verfilmung des Buches sehr gut vorstellen, weil die Handlung in einen actionreichen Spionagethriller passt und eine coole Superheldenattitüde rüberkommt, die die gemütliche Luzy sehr glaubhaft in die effektive Maschine verwandelt, die sie früher war.

Ganz offensichtlich hat der Autor viel und gründlich recherchiert – sicher kann er hunderte Hintergrundgeschichten erzählen – und ich hatte nie das Gefühl, dass er so vor sich hin fantasiert, sondern dass das, was er beschreibt, genau so passiert sein könnte. Das Expertenwissen kommt auf jeder Seite zum Vorschein.

Und da sind wir auch schon bei meinem großen Kritikpunkt.

Es waren zu viele Personen, zu viele Fakten, zu viele Überschneidungen in zu kurzer Zeit. Ich habe den Überblick verloren. Alles war zu dicht gepackt, teilweise hatte ich das Gefühl, ein Sachbuch zu lesen, und ich wusste nicht, welche von den tausend Informationen später noch wichtig werden und was nur ein dekorativer Abschweif ist.

Es war anstrengend, das Buch zu lesen und ich musste mehrmals neben dem Buch Übersichten anlegen, um aus der Über-Fülle an Informationen den roten Faden wieder herauszuarbeiten und die Personen zu sortieren.

Ein Teil der Verwirrung kam auch daher, dass z. B. die Geheimdienste „die Insel“, „das Institut“ oder „die Firma“ genannt werden und ich durcheinander gebracht habe, wer nun hinter welcher Bezeichnung steckt. Bei den Personen war es noch schlimmer. Geburtsname, Pseudonym, Initialen, Spitzname, noch ein Pseudonym, manchmal mit dem Vornamen bezeichnet, mal mit dem Nachnamen, einige Personen hatten viele Namen und es war Teil meiner Nacharbeit, das alles zuzuordnen. Ich hatte mir zwischendurch ein Personenverzeichnis gewünscht, doch das hätte zu viel verraten, denn erst im Laufe des Buches findet man heraus, welche Puzzle-Informationen zu welcher Person gehören.

Es gibt offensichtlich eine Überschneidung zu “Wie Sterben geht”, was ich nicht gelesen habe. Deshalb fehlte mir zu einem Abschnitt des Buches der Hintergrund und die eine oder andere Erklärung zu Personen, die man aus dem anderen Buch kennt – wenn man es denn vorher gelesen hat.

Am Ende summiert sich das auf einen Mittelwert an Lesefreude, was ich schade fand, weil aus dem Bauch heraus die eigentliche Handlung mehr verdient hätte. Aber dass man es sich so hart erarbeiten musste, hat unterm Strich leider nicht mehr ergeben. „Wie sterben geht“ werde ich auf jeden Fall irgendwann auch lesen, denn die Personen, die in “Kälter” ein Gastspiel hatten, sind durchaus interessant. Erst einmal brauche ich aber leichte Entspannungslektüre nach diesem schwer zu schluckenden Brocken.