Zu viel und zu wenig - Jane Bond lässt grüßen

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alasca Avatar

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Luzy Morgenroth hat acht Jahre lang ein ruhiges Leben als Inselpolizistin auf Amrum geführt. Bis ein alter Feind dort auftaucht und den Tod auf die Insel bringt. Mit diesem weltweit gesuchten RAF-Terroristen hat Luzy eine Vorgeschichte, die in Israel spielt. Und nun sinnt sie auf Rache und muss beweisen, dass sie die kältere Killerin ist – ein relativ einfacher Plot, relativ linear erzählt, von zwei Rückblenden abgesehen. Nicht zuletzt gibt es ein Wiedersehen mit alten Bekannten aus früheren Romanen: Jenny Aaron als Achtjährige (!), Rem Kukura, Nina Winter.
Kompliziert wird es aus anderen Gründen - BKA, BND, Speznas, GRU, die “Insel“, Capri, HVA, KoKo, dazu Mossad, Schin Beth, CIA – spätestens ab der Mitte hatte ich den Überblick darüber verloren, welcher Geheimdienst welchen Decknamen führt und welche Figur zu welchem Dienst gehört. Das ging auf Kosten des Spannungsbogens.

Dazu die vielen Kampfszenen, ein choreographiertes Blutballett nach Art amerikanischer Actionfilme. Dass Pflüger eine Vorliebe für weibliche Superheldinnen hat, ist nichts Neues. Aber Luzy Morgenroth ist selbst in seinem Universum eine eigene Hausnummer. Die Kette der Kämpfe, in denen Luzy die Gegner in den unwahrscheinlichsten Settings (Jane Bond lässt grüßen) reihenweise umnietet, wurde mir irgendwann zu langweilig, weil repetitiv und völlig unglaubwürdig. Schlimmer noch: Hinter ihren unerklärlichen Superkräften bleibt die Person Luzy blass. Ich hatte nach der übergewichtigen 50jährigen vom Beginn des Romans auf mehr realistische Schwächen und Personality gehofft.

Die Zeichnung des zynischen Geheimdienstmilieus gelingt Pflüger wie immer großartig. „Geheimdienste lügen nicht. Wir schützen Interessen.“ Die Welt, die er schildert, ist schwarz-weiß und strotzt vor Gewissheiten. Das gilt auch für Luzy, auch wenn sie sich hin und wieder ziemlich wehleidig ein Gewissen gönnt. Im Lauf des Romans verliert sie dennoch den Überblick darüber, wie viele Menschen sie getötet hat. Ich habe nicht gezählt, Schätzung: Es waren mehr als 20 und weniger als 100. Die „Entwicklung“, die sie im Roman durchmacht, läuft darauf hinaus, sich selbst als Killermaschine zu akzeptieren – psychologisch flacher geht´s nicht.

Sprachlich war ich ambivalent: Pflügers betont lässiger Stil ist sein Markenzeichen, man muss das mögen. Tat ich bis jetzt - aber diesmal fand ich es schwierig. Ostentative Originalität, die in jeden Nebensatz eingebaut ist. Das ist oft witzig, aber nicht immer; manchmal verrutscht eine Formulierung auch. In der Romanmitte, in der der Spannungsbogen durchhing, hatte ich reichlich Gelegenheit, mich daran zu stoßen. Die gnadenlose Diktion des Agentenmilieus, in dem Gegner keine Menschen, sondern „Tangos“ sind, führt obendrein zu bestürzender sprachlicher Kälte. Einen seltsamen Gegensatz dazu bildet Pflügers Pathos, der die brutalen Kampfszenen überhöht, was mich manchmal schon sehr befremdet hat.

Politisch positioniert Pflüger sich ohne Wenn und Aber an der Seite Israels, eine Position, die ich teile. Seine ostentative Solidarität war mir allerdings zu unreflektiert, auch wenn man die Romanzeit berücksichtigt, in der die Dinge klarer lagen. Überraschend, wenn auch interessant, sein Gorbatschow-Bashing. Ein großes Plus des Romans: Der historische Wahnsinn des kalten Krieges wird intensiv nachfühlbar; besonders die Darstellung der Ereignisse rund um den Mauerfall fand ich sehr gelungen. Und auch der Wahnsinn des Terrorismus, der in den 80ern die Welt in Atem hielt, kommt sehr überzeugend rüber.

Fazit: Der Roman krankt an gleichzeitigem Zuviel und Zuwenig. Zu viel Sprachkunst. Zu wenig Spannung. Zu viel Komplexität auf der Handlungsebene - und zu wenig bei den Figuren. Unterm Strich habe ich mich zu oft gelangweilt für einen Thriller.