Abenteuer Erinnerung

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bookiejulia Avatar

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In Kaisers Memoiren findet sich nicht nur eine bloße Recherche nach Abstammungslinien und von Nazis geraubtem jüdischem Besitz, der Autor beschreibt ebenso sehr reflektiert seine Gedanken und Gefühle während der aufreibenden Suche. Mal philosophisch, mal soziologisch - Menachem Kaiser versteht sich brilliant darauf, Details aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren und seine eigene Wahrnehmung so immer wieder neu zu schärfen und anzupassen.

“Was ist mit den Fällen, bei denen der Besitz unwissentlich übernommen wurde? Oder halb unwissentlich? Wenn es plötzlich eine leerstehende Wohnung gab und eine Familie keine Fragen stellte und einzog? Oder genötigt wurde, einzuziehen? Bedeutet ihr Glaube etwas, diese Immobilie gehöre ihr? Ich meine nicht legal. Ich bin nicht an einer Debatte über Hausbesetzerrechte in-teressiert. Ich interessiere mich für das moralische Kalkül, will heißen, wie wir das Narrativ der Nachkommen aufnehmen. An-dert sich das Kalkül in zehn Generationen? In fünfzig?”

Als sein Publikum begleiten wir Menachem Kaiser nach Polen, zu den Wurzeln seines verstorbenen Großvaters und lernen mit ihm die verschiedensten Menschen und ihre Geschichten kennen. Bartek, Hanna und Teresa, die in der vermeintlich enteigneten Immobilie der Kaiser-Familie schon ihr ganzes Leben verbringen oder die Schatzsucher der Gruppe Hunter, die voller Enthusiasmus Mythen rund um Nazi-Schätzen nachjagen.

Kennt ihr das Projekt Riese? Nein? Ich auch nicht. In Kajzer begeben wir uns mit der Hilfe des Autors zu diesem Mysterium, einem gigantischen Tunnelsystem der Nazis, über das so einiges an Halbwahrheiten im Umlauf ist und wo Menschen in Tarnhosen nach fragwürdigen Schätzen buddeln. An einem Ort, der unzähligen Zwangsarbeitern das Leben gekostet hat, gehen hier polnische Schatzsucher mit Detektoren und guter Laune ein und aus, hoffen auf die große Entdeckung.

“Was kommt zuerst? Dieser Ort, wo wir gerade sind, Osówka - ist das ein Ort des Todes oder ein Ort des Geheimnisses?”

Der Originaltitel Plunder. A Memoir of Family Property and Nazi Treasure passt für mich einen Tick besser als die Version auf dem deutschen Cover. Wenngleich es auch wirklich ein (emotionales) Abenteuer ist, in den Erinnerungen der jüdischen Familie Kaiser zu graben.