Ein Erinnerungsbuch über das Plündern jüdischer Geschichte(n)

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sonja steckbauer Avatar

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Licht ins Dunkel der Vergangenheit seines Großvaters Meir (Licht) Menachem (Mendel) Kajzer bringen, das möchte der Ich-Erzähler.
Nachdem er sich beim ersten, zufälligen Aufenthalt in Polen nicht sonderlich für das ehemalige Haus seines Großvaters interessiert und sich damit von vielen anderen jüdischen Nachkommen auf „Erinnerungs-Safari“ unterscheidet, weckt die Lektüre der Dokumente zum Rechtsstreit seines Großvaters um dessen Haus Emotionen bei ihm. Er will mehr darüber wissen, was dieser mit seinem Haus zurückgelassen hat und warum er 20 Jahre lang vergeblich um dieses Gebäude gekämpft hat. Der Großvater konnte oder wollte seine Geschichte keinem erzählen, und so macht sich der Enkel wieder auf nach Polen mit der Absicht, über das Gebäude Zugang zur Geschichte seines Zaidy zu bekommen. In der Folge zeigt der Roman auch die emotionale Seite der Restitution: Der Ich-Erzähler weiß und kämpft moralisch damit, dass er denjenigen Menschen, die ihm bereitwillig die Geschichte des Hauses erzählen, eventuell ihr Zuhause wegnehmen würde. Aber er zeigt auch auf, wie durch die Shoa der „Minhag“, das jüdische Brauchtum, welches von einer Familie zur nächsten übertragen wird, teilweise verloren ging. Das im englischen Titel genannte „Plunder“ ist mehrdeutig, auch die Geschichten der Großeltern werden „geplündert“, so der Erzähler.
Der Autor selbst bezeichnet sein Buch als „Memoir“, als einen Erinnerungstext, welcher irgendwo zwischen Tagebuch und Memoiren, zwischen Reflexionen über historische Fakten und fiktionaler Erzählung einzuordnen ist. Es ist kein bequemes Buch, mit seinen verschiedenen teilweise nicht aufgelösten Erzählsträngen und den teils lange abschweifenden Gedanken des Erzählers zu äußerst breit gestreuten Themen. Doch vielleicht ist gerade dieser neue Zugang zur jüdischen Geschichte und Geschichten von Juden eine bessere Möglichkeit, um deren Perspektive zu veranschaulichen. Menachem Kaiser ist es in poetischer Sprache und mit fast durchgehender erzählerischer Distanz sehr gut gelungen, dem Leser Einblick in diese Gedankenwelt zu verschaffen!