Ungewöhnlicher Blickwinkel auf ein jüdisches Erbe

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dj79 Avatar

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Menachem Kaiser ist gleichzeitig Autor und Ich-Erzähler des vorliegenden Sachbuches. Bei Besuchen am Grab des schon lange vor der eigenen Geburt verstorbenen Großvaters, die Menachem Kaiser alljährlich mit seinem Vater begeht, stellt er irgendwann fest, dass er abgesehen von den spärlichen Aussagen des Vaters eigentlich nichts über seinen Großvater weiß. Dementsprechend ist auch seine Gefühlslage dem Großvater gegenüber eher kühl. Als irgendwann Menachems Vater in zwei Nebensätzen preisgibt, dass der verstorbene Großvater erfolglos mehrere Jahrzehnte versucht hatte, seinen Besitz in Polen wiederzuerlangen, war für Menachem eine Challenge losgebrochen. Dabei ist nicht wirklich klar, was genau die Motivation dahinter ist. Wirklich das Haus, der Grund und Boden? Ein Annäherungsversuch an den so fremden Großvater? Oder ein Akt zur Schaffung von Gerechtigkeit für ein Opfer der Schoa?

Was folgt ist eine Odyssee durch das in steter Überarbeitung befindliche Rechtssystem Polens mit einer, Killerin genannten, Rechtsanwältin. Trotz Sprachbarriere und der immensen Distanz zwischen Toronto und Schlesien reist Menachem mehrfach nach Polen, um die Rückforderung des familiären Besitzes auf den Weg zu bringen. Erfolg und Misserfolg seiner Mission sind abhängig von den Spitzfindigkeiten der Rechtsgrundlage. Er besucht die Heimatstadt seines Großvaters Sosnowiec, findet das Haus, spricht mit den Hausbewohnern. Die Gespräche münden in weiteren Kontakten, die dem Suchenden detaillierte Einblicke in das Lagerleben, das überdimensionierte Projekt Riese im Eulengebirge teils auf wissenschaftlich recherchierende Weise teils auf skurrile Weise gewähren.

Bei der Begegnung mit den sogenannten Schatzsuchern gärte in mir die Fragestellung, ob die stolze Präsentation der in den Tunneln von Riese gefundenen Nazigegenstände eine gewisse kulthafte Verehrung derselben darstellt. Das passte für mich so überhaupt nicht zur offenen Kommunikation der Schatzsucher mit Menachem, dem jüdischen Nachfahren. In Kombination mit den verschwundenen Lagern, die seinerzeit zu Groß-Rosen gehörten, entsteht ein seltsamer Eindruck in Richtung Erinnerungsverweigerung gegenüber den Opfern. Fragwürdig war für mich insbesondere die unbefangene Spaßaktion des Schätzesuchens an von Qual und Tod besudelten Orten. Doch was scheinbar fakt ist, muss nicht unbedingt gleichzeitig auch wahr sein. Mit dieser Argumentation hatte ich zunächst maximale Schwierigkeiten. Der Autor setzt sich jedoch dermaßen intensiv mit dieser ethisch moralischen Fragestellung auseinander, das ich inzwischen auch einem anderen Blickwinkel folgen kann. Positiv zu bewerten ist darüberhinaus die schon fast solidarische Hilfestellung der Schatzsucher, die auch Menachems Recherchen beflügeln, ihm Erkenntnisse bringen, die zu Beginn seiner Mission nicht erwartet werden konnten.

Kajzer ist ein schweres Buch, nicht weil es schwer verständlich oder nachvollziehbar ist, sondern weil es die Lesenden zur Auseinandersetzung mit der Schoa zwingt, und zwar über das Leiden und der Ansage: Das darf nie wieder passieren!, hinaus. Der Autor diskutiert mit uns unser heutiges Verhalten in diesem Kontext, das Schweigen und das fehlende Fragen, welches das Schweigen brechen könnte und vieles mehr. Man muss es beim Lesen nur wahrnehmen wollen. Das Buch kratzt am eigenen Gewissen, unabhängig davon, für wie aufgeklärt man sich bisher gehalten hat. Das ist nicht angenehm.

Trotzdem bin ich mehr als nur zufrieden mit der Lektüre. Ich schätze jeden Anstoß zu Reflexion. Leicht kritisch ist lediglich das ein oder andere ausufernde Abschweifen zu betrachten. Obwohl auch diese Exkursionen interessante philosophische Passagen für mich darstellten, so behinderten sie letztlich doch meinen Lesefluss. Hier hätte ich mir weniger Ausführlichkeit gewünscht.