Zwischen Roman und Krimi

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singstar72 Avatar

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Die Erwartungen liegen hoch bei einer neuen Reihe der Erfolgsautorin Viveca Sten. Ihre "Sandhamn-Reihe" um Thomas Andreasson und Nora Linde hat eine treue Fangemeinde, die Verfilmung als TV-Serie tat ihr übriges. Den wesentlichen Punkten ihres Erfolgsrezeptes ist sie treu geblieben - ein Ermittlerduo, das sich langsam zusammenrauft, private Probleme, Familiendramen, viel Lokalkolorit. Verlegt hat sich nur der Schauplatz: vom Schärengarten hoch zum Polarkreis, bei wenig Tageslicht und Temperaturen unter minus 20 Grad.

Erfolgsrezepte sind eine schöne Sache, sie können dem Autor aber auch ein Bein stellen. Zu einhundert Prozent gelungen ist die neue Reihe um Hanna Ahlander daher nicht, obgleich das Buch flüssig zu lesen ist, und sich als Krimi durchaus behaupten kann.

Ungewöhnlich ist allein schon die Länge des Buches. 500 Seiten sind für einen Krimi selten, und sprechen eher für einen reinen Roman - auch die Erzählweise erinnert oft eher an einen Frauenroman. Schon die Eingangsszenen lesen sich dementsprechend: Jobverlust, Beziehungsende sowie Ortswechsel, das Muster ist sattsam bekannt. Die unfreiwillig so gebeutelte Hanna Ahlander benimmt sich eher wie ein Teenager, betrinkt sich und lässt ihren Zorn an der Garderobe des Ex aus.

Im Ferienhaus ihrer Schwester angekommen, stolpert sie über den Fall einer vermissten Schülerin, und bietet - halb aus Langeweile - ihre Hilfe an. Beinahe problemlos wird sie im fremden Polizeirevier eingestellt, was sicher dem Lesefluss zuträglich ist, aber doch die Glaubwürdigkeit ein wenig strapaziert.

Das Buch ist in weiten Teilen mehr erzählend als rasend spannend; dennoch weiß die Autorin, mit zahlreich ausgestreuten falschen Fährten zu überzeugen. Auch kleinere Details werden im Nachhinein wichtig, dazu noch ein ansprechender Showdown, und man hat den eher behäbigen Einstieg schon fast verziehen.

Sehr gut geraten ist die Beschreibung des Lebens in dieser unwirtlichen und eiskalten Region Schwedens; man möchte sich nur immer tiefer in den Sessel kuscheln und klappert beim Lesen leise mit den Zähnen. Auch die Schilderung gewisser Lebenswelten ist gelungen; die Autorin weiß, welche Sorgen Familien und Jugendliche haben. Gekonnt spickt sie den Krimi/ Roman mit aktuellen Themen, wie Gewalt gegen Frauen oder Ausbeutung.

Eine rundum positive Bewertung gelingt dennoch nicht; zum Schluss bleiben Fragen offen, und Spuren von Unwahrscheinlichkeiten trüben das - zugegeben - letztlich nicht allzu schwer erratbare Ende.

Da es ein Reihenauftakt ist, werden folgende Bände hoffentlich stringenter, und weniger erzählend. Im Ganzen ein sehr achtbares und gut zu lesendes Buch.