Schaurig

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aniya Avatar

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Lauren bekommt Zwillinge.
Während ihres Krankenhausaufenthaltes taucht im Zimmer nachts plötzlich eine unheimliche Frau auf, die einen Korb dabei hat. Darin befinden sich ebenfalls Zwillinge - und die Frau möchte tauschen.
Lauren schließt sich erschrocken im Bad ein und ruft die Polizei, doch es kann kein Eindringen festgestellt, niemand gefasst werden.
Zuhause begegnet ihr die unheimliche Frau wieder und wieder. Lauren traut sich vor Angst mit ihren Kindern nicht mehr aus dem Haus. Mann und Ärzte schieben alles auf die Psyche, den Schlafmangel.
Als Lauren ihren Mut zusammen nimmt und mit den Kindern spazieren geht, schläft sie bei einer Pause ein. Als sie aufwacht, ist der Kinderwagen verschwunden, wird aber schnell wieder gefunden.
Allerdings sind die Babys nicht mehr Laurens.
Niemand glaubt ihr - bis auf Polizistin Harper, der irgendwas an dem Fall ganz seltsam vorkommt...

Kalte Wasser ist eine gute Mischung:
Wir haben den unheimlichen, geheimnisvollen Teil, bei dem ich mich durchaus gegruselt habe (das passiert bei mir aber schnell, ich bin ein Angsthase), die etwas zu engagierte Polizistin, die auf Frauen steht und alles rund um Schwangerschaft, Geburt, Gewalt, Depressionen, Rollenverteilung.

Vom Paranormalen abgesehen, gab es die bedrückendsten Szenen für mich in der ersten Hälfte des Buches.
Wir erleben Laurens Entbindung gleich zu Beginn hautnah mit.
Es ist eine Zangengeburt und Lauren leidet Höllenqualen.
Auch als alles überstanden scheint, geht es ihr nicht besser.
Das Krankenhauspersonal ist empathielos und ruppig.
Sie bekommt innere Blutungen, die mit einem schmerzhaften und übergriffigen Eingriff gestillt werden müssen und bei denen Laurens Grenzen nicht respektiert werden.
Ich habe in letzter Zeit viel über Gewalt unter der Geburt gelesen und auch darüber, wie sehr unser glorifiziertes Mutterbild Frauen schaden kann und z.B. dafür sorgt, dass sich viele keine Hilfe suchen, die sie bräuchten, aus Angst, als Rabenmutter dazustehen.
Die Autorin stellt das Leid und die Angst meiner Meinung nach sehr gut dar.
Lauren leidet also mehr oder weniger stumm, weint viel, hat Angst, keine gute Mutter zu sein.
Man merkt, wie alleine sie mit allem dasteht.
Früher hieß es, man brauche ein Dorf, um ein Kind großzuziehen, heute soll das eine Person (meist die Mutter) allein schaffen, während Väter schon Helden sind, wenn sie sich das frisch gebadete und gewickelte Kind für 20 Minuten auf die Brust legen lassen.
Alles wird nochmal schlimmer, als Lauren entlassen wird.
Ein paar Tage gibt sich ihr Mann noch ein wenig Mühe, aber bereits nach den ersten schlaflosen Nächten zieht er ins Gästezimmer, weil er "es nicht mehr aushält" und ohne Schlaf "zu nichts zu gebrauchen ist". Es sind nur zwei Wochen Vaterschaftsurlaub und nicht mal während dieser Zeit schafft er es, sich gleichwertig um die Kinder zu kümmern.
Er gibt Lauren immer wieder zu verstehen, dass all das ihre Aufgabe und sowieso gar keine richtige Arbeit ist.
Als er wieder seiner Erwerbstätigkeit nachgeht, kommt er spät nach hause, weil er noch "durch die Bars" muss, "Kontakte knüpfen".
Und natürlich hat er auch noch ein paar andere Geheimnisse...
Ganz ehrlich, der Ehemann war für mich einfach ein riesen Schwein, aber ich kam nicht umhin daran zu denken, dass die Autorin hier ziemlich gut die (oder besser: eine) Realität abgebildet hat.
Natürlich sind nicht alle Männer so, dennoch passieren bestimmte Dinge wohl doch immer noch zu oft. Es gibt ja auch diverse Studien dazu, dass Mütter nach der Geburt ihren Schlaf einbüßen und Väter eher nicht, oder dass Mütter bei Wiedereinstieg in den Job 61% ihres Gehaltes verlieren und Väter nichts.
Zwischen den Zeilen wird in Kalte Wasser auch die Expertise angesprochen: von Lauren wird erwartet, dass sie sofort alles weiß und kann, dabei hat sie keine Ahnung, ist auf ähnlichem Wissensstand, wie ihr Mann, denn es sind auch ihre ersten Kinder.
Das Stillen fällt ihr schwer, sie hat Schmerzen und es strengt sie an.
Sie liest Bücher, um mehr über Babys und Erziehung zu erfahren, während ihr Mann seine "Papalektüre" nicht einmal durchblättert.
Für mich hat die Autorin hier jedenfalls einen fantastischen Job gemacht. Das alles kommt so wunderbar schleichend, der Ehemann wird nicht als absolutes Monster portraitiert.
Ich hatte richtige Beklemmungen und schlimmstes Mitleid mit Lauren.

Die Teile, die nicht aus Laurens Sicht geschrieben sind, haben den Narrativ der Polizistin Harper.
Sie arbeitet nicht ganz so oft nach Vorschrift und insgesamt mochte ich sie sehr.
Allerdings habe ich bei ihr auch ein paar kleine Kritikpunkte:
Mir war es etwas zu weit hergeholt, dass sie sich so für Laurens Fall interessiert, obwohl er nur einer von vielen Abgeschlossenen unter den Akten ist.
Wenn sie noch diejenige gewesen wäre, die ins Krankenhaus gerufen wurde... aber sie sieht den Fall einfach auf dem PC und ist sofort Feuer und Flamme. Begründet wird das zum einen mit ihrer Vergangenheit, die mir dafür nicht ausreicht und zum anderen mit ihrer unschlagbaren Intuition - die, wie ich finde, dafür an anderen Stellen manchmal ziemlich zu wünschen übrig lässt.
Harper steht auf die Journalistin Amy. Ich wusste die meiste Zeit nicht, was ich von dieser Person halten soll und ich fand Harper ihr gegenüber wahnsinnig unvorsichtig... mit dem, was zu Amy am Ende rauskommt, war ich aber sehr zufrieden.

Kalte Wasser hatte auf mich jedenfalls eine ziemliche Sogwirkung und ich mochte die unheimliche Stimmung, die verschiedenen Gefühle, die es bei mir ausgelöst hat und die Fragen, die ich mir teilweise immer noch ein bisschen stelle.
Eine spannende Schauergeschichte, die sich zu lesen lohnt.