Alte Schuld, neue Schuld

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Als Friedhofsgärtnerin Gesine Cordes bei den Vorbereitungen für eine anstehende Beerdigung ist, merkt sie erschrocken, dass ihre eigene Schwester begraben werden soll. Seit zehn Jahren hatten die beiden keinen Kontakt mehr, als Gesines zweijähriger Sohn unter tragischen Umständen zu Tode kam. Gesine war untergetaucht, hatte ihre Stelle als Polizistin und ihr gesamtes bisheriges Leben aufgegeben. Nun aber holt sie die Vergangenheit mit voller Wucht ein. Ihre Schwester soll Selbstmord begangen haben, doch bald hängt der Vorwurf des Mordes im Raum. Bald steht auch Gesine im Fokus der Ermittlungen, ihre Eltern beschuldigen sie des Mordes an der Schwester. Ein Meer voll geäußerter und unterschwelliger Vorwürfe kocht wieder auf und erschwert die Ermittlungen an Mareikes Tod.
Äußerst geschickt sind in die Geschehnisse um und nach dem Tod der Schwester häppchenweise die Erinnerungen an den Todestag des kleinen Kindes gestreut, so dass sich das gesamte Ausmaß der Versäumnisse der Erwachsenen mitsamt den Vorwürfen an sich selbst und an die anderen Familienmitglieder auftut. Das erhöht die Spannung, selbst wenn man von Anfang an weiß, dass Philipp an einer giftigen Pflanze starb. Nicht ganz so eindeutig sind die Charaktere der Personen ausgearbeitet: Während der Leser sehr gut nachvollziehen kann, weshalb sich Gesine von ihrem bisherigen Leben zurückzog und als Friedhofsgärtnerin neu angefangen hat, wird z.B. Mareikes Rolle als Mutter ihrer Zwillinge nicht ganz konsequent ausgearbeitet, denn mal wird sie als kompetente Mutter dargestellt, ein anderes Mal aber ist sie eine eher nachlässige Bezugsperson für ihre eigenen Kinder. Dieser Zwiespalt wird auch nie richtig aufgeklärt. Überhaupt bleibt jedes der Mutter/Eltern-Kind-Verhältnisse zum Schluss mit vielen offenen Fragen stehen. Das gibt es zwar durchaus, auch im größeren Rahmen einer „Familientradition“, doch erscheint es hier nicht auf der ganzen Linie logisch. Insgesamt konnte ich einige der Entwicklungen nicht ganz nachvollziehen, auch wenn die Auflösung um Philipps Tod vor zehn Jahren einiges in ein neues Licht stellt und manche Erklärung abgeben für das Verhalten der Erwachsenen untereinander in dieser traumatisierten Familie. Interessant sind Gesines Notizen zu giftigen Pflanzen, die zunächst noch keinen besonderen Sinn ergeben, dieser wird erst nach und nach ersichtlich, weil er immer mehr im Zusammenhang mit den Pflanzen in der Geschichte selbst steht.
Als Krimidebüt liefert Annette Wieners eine ganz ordentlich ausgearbeitete Geschichte ab, die durchaus noch Potential für Verfeinerungen bietet, mit einem stetig ansteigenden Spannungsbogen für ein besonderes Lesevergnügen.