Zum Sterben köstlich

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elke seifried Avatar

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»Gesund ist, was glücklich macht. Und meine Torten machen glücklich. Dann ist es halt nicht der gesündeste, sondern der glücklichste Ort Kalabriens.“ Und genau an den entführt Tessa Henning mit ihrem neuen Roman, der mir äußerst vergnügliche und teilweise auch richtig berührende Lesestunden bereitet und mich perfekt nach Kalabrien entführt hat.

In ein paar Tagen steht ihr sechzigster Geburtstag an und Emilia vermisst ihre Tochter Julia, die es für ein Auslandsstudienjahr nach Kalabrien verschlagen hat, sehr. Kurzerhand beschließt sie sich selbst einen Kurztrip zu schenken und Julia einen Überraschungsbesuch abzustatten.

Als Leser darf man sich mit Emilia auf die Reise vorbereiten und dann mit jeder Menge Flugangst in den Billigflieger setzen. In Bella Italia angekommen, heißt es erst einmal gar nicht so bella Überraschungen zu erleben und sich dann mit den Gegebenheiten zu arrangieren. Zufall oder Schicksal? Auf jeden Fall verschlägt es sie dort nach Piccolo Leone, ein kleines Dorf, denn Julia lebt inzwischen mit Francesco dort in der am Entstehen begriffenen Albergo Olivia. Bei einem Spaziergang im Dorf verliebt Emilia sich in eine leer stehende Bäckerei. Schon beim ersten Blick, „begann der Raum, vor ihrem geistigen Auge ein Eigenleben zu entwickeln. Die Tische waren auf einmal blitzeblank. Die Stühle standen davor. Die Vitrine funkelte, und dahinter lagen ihre Torten.“, und sie träumt weiter, „Im Traum war ihre Mutter auf die Idee gekommen, sämtliche Tortenklassiker als Eistorte auszuprobieren.“ Soll sie in deren Fußstapfen treten und ihre Leidenschaft für Backen, Kuchen und Torten hier ausleben? Nach langweiligen Jahren als Versicherungskauffrau, wäre das genau das, was sie glücklich machen könnte. Nur wird Julia auch glücklich mit ihrer Mutter in der Nähe und wird man »Gaspare. Der Bürgermeister.« »Ach ja, der will ja nicht, dass die Leute zu früh ins Gras beißen« und den der Gesundheitswahn ergriffen hat, überzeugen können, dass so eine Cafe mit leckeren Torten her muss? Auf den ersten Blick sieht es nicht so aus, denn es gilt, »Er will nicht, dass ich alle hier im Dorf mit meinen Torten vergifte. Zuckerfreie Zone, versteht ihr? Man kann es auch übertreiben mit diesem ganzen Gesundheitssche..«, entrüstete Emilia sich.“ Mehr will ich gar nicht verraten, so viel vielleicht noch, Amore gehört natürlich auch dazu, sowohl für Emilia als auch Töchterchen Julia, auch wenn bei der die Wolke 7 zeitweise auch richtig zappenduster ist und sie und Francesco die Erfahrung machen müssen, „dass die volle Müsli-Nummer mit Basic-Ausstattung bei den Gästen nicht so gut ankam.“

Schon als Vorbereitung auf die Reise darf man mit Emilia Italienischvokabeln pauken, dort angekommen fliegen sie einem auch immer wieder um die Ohren und zwischendurch prescht eine röhrende Vespa vorbei. Italienische Lebensart kommt nicht zu kurz und der Aufenthalt auf einem „Anwesen. Es stand am Ende eines schier endlosen Olivenhains. Im Licht der untergehenden Sonne sah das Zusammenspiel aus dunklem Grün der Blätter und dem ockerfarbenen Boden aus wie gemalt. Das alte Steinhaus mit seinen zwei Etagen, einer riesigen Scheune und Stallungen passte perfekt in dieses Gemälde.“, hat mich nicht nur perfekt nach Kalabrien gebeamt, sondern auch mein Fernweh geweckt.

Der spritzige, enorm kurzweilige Sprachstil der Autorin macht einfach nur Spaß beim Lesen. Ich liebe ihr pointierten Beschreibungen der Art, „Erst die eigene Frau gegen eine Jüngere eintauschen, dann zu Kreuze kriechen , weil das Flittchen ihn in den Wind schießt[….] danach auch noch den Löffel abgeben und Emilia mit dem ganzen Versicherungskram alleinlassen.“. Es mangelt nicht an witzigen Situationen. Da kann es schon mal sein, dass eine Ökotouristin, oder eine, die es werden will, ausrutscht „und landete bäuchlings auf dem Boden, gleich neben dem Gestänge für die Legehennen. Das Stroh dämpfte den Fall. Sie lag dennoch mitten in der Hühnerkacke. Der Hahn krähte.“ Für ganz viel Vergnügen sorgt auch Camilla, Fracescos Oma. Zu witzig, wenn sie als natürliches Familienoberhaupt ihrem Sohn sagt, was der zu tun hat. >>»Iss jetzt. Das gebietet der Anstand.<<, »Gaspare. Halt den Mund, und verdirb uns nicht die gute Stimmung. Iss einen Kuchen, und alles wird gut«, forderte Camilla ihn mit mütterlicher Strenge auf.“ , oder auch »Interessiert mich nicht, und interessiert das überhaupt jemanden hier außer dir?« Camillas Tonfall war ungewohnt“, sind nur drei kleine Kostpröbchen davon. Tessa Henning beschreibt mit vielen Bildern und gelungenen Vergleichen. Wer hat z.B. „Mit den hiesigen Straßenverhältnissen hatte die Ape aber ordentlich zu kämpfen: Pizzagroße Schlaglöcher zierten die Fahrbahn“, nicht sofort als lebendiges Bild vor Augen. Sie vermag aber nicht nur zu amüsieren, sie kann durchaus auch bewegen. So darf man hier die Entwicklung einer nicht ganz leichten Mutter-Tochter Beziehung miterleben und besonders durch die Figur von Arturo bekommt die Geschichte einiges an Tiefe. Spannend ist es obendrein. Was wird aus der Ökounterkunft, bekommt Emilia ihren Tortentraum und was wird aus Amore, da muss man einfach lesen bis zum Ende.

Ich liebe Tessa Hennings Romane auch deshalb, weil hier keine tollen, jungen Topmodells die Hauptrollen spielen. Sind mir doch natürliche, die auch ihre Problemchen haben, wie ein jeder eben, doch so viel lieber. Für Emilia gilt, „für eine Fast-Sechzigjährige mit grauem Haar und nicht mehr ganz so straffem Rubenslook“, hat sie jede Menge Power und den Mut, sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Sie backt nicht nur alle um den Verstand, sondern schleicht sich auch ganz schnell in das Herz aller. Ein richtig toller Mann ist auch Arturo, der Leichenbestatter, der zeigt, dass man auch bei eigenbrötlerischen Männern aus Berufsgruppen, die ja eher am Rande stehen, keinerlei Berührungsängste haben muss, denn herzlicher als er ist so schnell niemand. „Jesus neuerdings in Jeans? Das musste wohl dieser Francesco sein.“ Auch wenn der „Müsli-Öko“ gesund und Natur vielleicht ein wenig überbewertet, mochte ich ihn richtig gerne und auch in Julia konnte ich mich gut hineinversetzen. Gelungen sind auch die diversen Dorfbewohner gezeichnet.

Kritik habe ich keine, aber eine Warnung möchte ich noch aussprechen, denn „Dem stand doch schon eine Pfütze im Mund.“, das gilt nicht nur für die Anwohner, sondern auch ich hatte oft Hochwasser dort beim Lesen. „ von der Eisvariation der Linzer Torte müsste doch noch ein kleines Stück im Kühlschrank sein. Sahne drauf und dann“,….Schwarzwälder, Tartufo oder Sacher in einer Eisvariation, wer würde da nicht sterben wollen dafür. Ich musste beim Lesen oft zum Gefrierschrank pilgern.

Welch ein Glück, dass der Autorin bei einem Flug die Idee zu "Gelato" kam, denn das Flugmagazin berichtete von einem Ort in Kalabrien in dem das Sterben verboten ist. Kein Witz, der Bürgermeister von Selia hat sich ein Mindestalter für seine aussterbende Dorfbevölkerung vorgenommen und will, dass alle möglichst lange gesund bleiben, wofür es Kohle vom Staat gibt. Diese Steilvorlage hat sie für eine geniale Komödie à la Don Camillo & Peppone und einen vergnüglichen Rüffel für übertriebene Gesundheitsapostelverwendet und konnte damit bei mir voll punkten.