Ein Meisterwerk

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jule1 Avatar

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Es ist lange her, dass mich ein Buch so in den Bann gezogen hat. Mit "Kapital" ist John Lanchester ein sehr intelligenter, witziger Roman voller Spitzfindigkeiten und Ironien gelungen. Ein wahrer Glücksgriff für mich aus dem Lostopf und unbedingt und uneingeschränkt empfehlenswert. Gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit eine tolle Geschenkidee.
Den Inhalt wiederzugeben wäre kaum möglich, die ganz grobe Zusammenfassung findet der Leser auch im Klappentext.
Faszinierend ist die brillante, auf englisch ironische Art überzogene Darstellung der Charaktere. Und berührend immer wieder eine plötzliche Wendung der Geschichte. Ein Beispiel dafür möchte ich hier anführen. Quentina Mkfesi, Bachelor und Master of Science der Universität von Zimbabwe, die unbeliebteste Frau in der Pepys Road, wird von allen Anwohnern gefürchtet, weil sie als Politesse jedes falsch parkende Auto aufschreibt , am liebsten die teuren Schlitten. Es scheint ihr unbändige Freude zu machen und sie lässt nie mit sich handeln.
Selbst als Leser mag man sie nicht besonders, weil ihr jegliche Empathie zu fehlen scheint. Und erst viele Seiten später erfährt der Leser von ihrem Schicksal, nämlich das einer politisch verfolgten, die aus ihrem Heimatland fliehen müsste, um nicht getötet zu werden. In England hat sie keine Aufenthaltsgenehmigung, muss sich mehr oder weniger verstecken und das wenige was sie verdient zum großen Teil an einen üblen Kerl abgeben, der sie sonst verraten würde. Und dann droht ihr die Abschiebung und der sichere Tod. Diese plötzliche Wendung macht dem Leser die eigene Oberflächlichkeit im Urteilen sichtbar. Und viele solcher schriftstellerischen Meisterleistungen ziehen sich durch den Roman. Es sind 682 spannende und berührende Seiten. Versprochen!