Keine Gnade - auch nicht für schlechte Thriller...

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quatschpanda Avatar

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KEINE GNADE - Für mich als absoluten Thriller-Fan klingt das so verlockend wie eine Einladung in ein Edelrestaurant. Yummy!

Im Prolog begegnet der Leser Genevieve, einer jungen Frau, die aus ihrem durch Infusionen verursachten Drogenschlaf erwacht und sich ohne Erinnerungen, aber dafür mit Fesseln auf einem fremden Bett wiederfindet. Zugegeben, in ihrer Situation wären Tom Hanks und Sandstrände nicht unbedingt das Erste, das mir in den Sinn käme; und auch sonst wirkt ihre Angst wenig glaubhaft. Hilflosigkeit, Angst, Panik - das ist es, vor allem als Einstieg in den Lesestoff, was den Leser von Anfang an ködern und nachts nicht mehr schlafen lassen kann. Daniel Annechino bedient sich hier ebenfalls dieser häufig genutzten Szenerie, der Umstände des Opfers, doch es erscheint fast, als wäre der Autor etwas müde und damit nicht ganz empfänglich für die Umstände und die Bedrohlichkeit dieser scheinbar ausweglosen Situation gewesen zu sein.

Weiter geht es also ins nächste Kapitel. Uns begegnet ein Arzt, Julian, dessen Forschungsprojekt nicht ausreichend Anerkennung fand und der nun keinen anderen Ausweg sieht, als sich mindestens 10 Menschen als Versuchsobjekte zu suchen. Für ihn ist das halt so. Damit ist die Sache auch gegessen. Ich denke, jeder kennt diese Enttäuschung, wenn man viel Zeit und Leidenschaft in eine Sache investiert, die am Ende nicht die gewünschte Begeisterung hervorruft. Natürlich tut das weh, man ist gekränkt, und entweder gibt man nun auf - oder man reißt sich zusammen und strengt sich halt beim nächsten Mal noch mehr an, bis man sein Ziel erreicht. Julian sitzt und liest erneut die Absage für die Fördergelder. Wirkt, als würde er mit den Schultern zucken, sich noch einen Drink einschütten und sich dann an die Klischee-Blondine heranmachen. Was er ja so lange nicht gemacht hat und deswegen ja ach so aufgeregt ist. Schreibt zumindest Annechino. Doch anmerken und abkaufen tut man ihm das nicht. Mann flirtet; die Blondine, die, wie sich herausstellt - welch Überraschung! - Genevieve heißt, lässt sich schließlich abschleppen, obwohl sie ja normalerweise nicht mal bei ersten Dates küsst (Jaja, und die Kinder kommen vom Storch...) und schwupps - nach ein, zwei Tablettchen im Bailey's hat er sein erstes Opfer gefunden.
Was mich sonst an den Bösewichten in Romanen reizt, ist ihre Tiefgründigkeit, ihre komplexen Denkweisen, ihre eigenen Wege. Julian kratzt nur ein bisschen an der Oberfläche. Immer wieder ist von einem traumatischen Kindheitserlebnis die Rede, das von den ominösen Wesen Rebecca und Marianne verursacht wurden und wofür er sich jetzt unbedingt rächen will. Viele Täter in Krimis haben solche Vorgeschichten, viele kommen aus dem Elternhaus; und doch wirkt diese hier allzu inszeniert, so als müsste Julian auch eine haben, weil alle anderen doch auch traumatisiert sind. In meinen Augen ist er allerdings als Charakter - und noch dazu als Hauptperson - viel zu flach, da hilft auch sein "Ich rette die Allgemeinheit"-Komplex nicht mehr.

Im zweiten Kapitel werden zwei weitere Charaktere vorgestellt - der ehemalige Detective Sami Rizzo (Achtung, nicht Rizzoli wie bei Tess Gerritsen!) und ihr Lebensabschnittsgefährte Al Diaz, die ihren zweiten Jahrestag feiern und sich zufällig an das schicksalhafte Ereignis in Samis Leben erinnern, in dem sie von einem Serienmörder gekreuzigt und nur in letzter Sekunde gerettet werden konnten. Hier lässt sich die Einführung der "Guten" des Romans erahnen, die am Ende viele Menschenleben retten und wieder Zeit für sich und ihre junge Liebe finden. Davon kann man denke ich ausgehen. Auch hier fehlt für mich der Kick und der Reiz, mit den Charakteren zu sympathisieren.
In der zweiten Hälfte des Kapitels geht es zurück zu Julian, der jetzt in seinem gemütlichen Loft beginnt, seine chirurgischen Fähigkeiten zur Schau zu stellen und eine (vermutlich aus dem Internet gezogenen und damit viel zu gekünstelt wirkenden) Herzoperation durchführt, die die arme Genevieve nicht überleben wird. Passiert.

Was mir nach dieser Leseprobe bleibt, ist das Gefühl, dass der Autor nur gängige Klischees der Thrillerszene bedienen will, aber noch nicht das richtige Gefühl für die Stimmung und die Charaktere entwickelt hat. Vor allem bei Julian ist das sehr schade, denn es sind doch immer die Bösewichte, die den Leser besonders in den Bann ziehen sollten. Der Rest des Romans scheint leider vorhersehbar, dafür wurden von Beginn an nicht die richtigen Weichen gestellt.