Anders als erwartet, intensiv

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lucy_lee Avatar

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Vom doch recht fröhlichen Cover hatte ich mir etwas anderes erwartet, obwohl ich die Leseprobe natürlich gelesen habe. Es ist keine fröhliche, es ist keine "gute" Geschichte, aber Lisa Roy weiß durchaus zu fesseln. Mit ihrer rauen, fast schon unsympathischen Protagonistin macht sie es ihren Leser*innen nicht leicht. Arielle polarisiert von Kapitel 1 an, in dem sie die verschwundenen Mädchen ihres Heimatbezirks im Ruhrgebiet analysiert und einen mit der Nase auf das Offensichtliche stößt: Auch in Deutschland gibt es eine Zweiklassengesellschaft. Aus der vermeintlichen Unterschicht hat es die Protagonistin mit dem Disney-Namen auch nur vermeintlich herausgeschafft und ist über das Verschwinden ihrer Mutter nie hinweggekommen. Soweit der Plot, der hauptsächlich von der erzählerischen Dichte lebt und weniger von der Geschichte selbst. Schade, dass die so wichtige Nebenfigur Varuna, die Großmutter Arielles so farblos bleibt. Ich bekam sie nicht zu greifen und hätte doch gerne mehr verstanden. Schade auch, dass viele Themen wie ein sexueller Übergriff auf Arielle in deren Teenagertagen angerissen, aber nicht ausgeführt werden. Auch John, der Vater eines der vermissten Mädchen, dem sich Arielle nicht gerade angemessen nähert, bleibt mir etwas zu mysteriös. Am Ende lösen sich viele Fragen auf, aber es bleiben auch einige. Das mag beabsichtigt sein, aber stört ein wenig das Gefühl, das ich gerne habe, wenn ich ein Buch zuklappe: Das Gefühl, verstanden zu haben, was die Autorin mir sagen möchte oder zumindest jenes, eine gute Geschichte zu Ende gelesen zu haben. Dafür sind die letzten Seiten zu schnell, zu hektisch, zu wirr. Dennoch: Ich habe ein Buch mit einer guten Sprache, mit mutigen Schilderungen und Dialogen, mit einem neuen Setting und einer talentierten Verfasserin gelesen. Gerne mehr davon.