Auch so ist das Ruhrgebiet

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daggi Avatar

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Arielle fühlt sich allein auf der Welt. Immer noch hält sie Zwiegespräche mit ihrer vor langer Zeit verschwundenen Mutter, um ihre Gedanken und Erinnerungen zu ordnen. Eigentlich hat sie den Sprung in die große Stadt geschafft und ihr Aufwachsen in Brennpunkt des Essener Nordens weit hinter sich gelassen.

Ein Aufenthalt in der Klapse, Jobverlust und ein Hilferuf führen sie aber zurück ins alte Kinderzimmer.

Das Wiedersehen mit Schulfreundinnen, ihrem alten Lehrer, der mehr über die Mutter weiß als gedacht, das Verschwinden zweier Kinder aus dem Viertel - es entwickelt sich keine große, vielleicht keine gute Geschichte, aber eine sehr intensive und lebensnahe, die schmerzhaft, hoffnungsvoll und auch (unfreiwillig) komisch ist.
Das Leben in "Düsseldorf scheint weit weg, ein anderer Planet zu sein, unmöglich im Laufe eines Nachmittags zu erreichen." (S.196)

Solche Viertel gibt es hier nicht nur in der Nachbarstadt Essen, deshalb kann ich die Beschreibungen von Arielle gut nachvollziehen, ihre Handlungsweise ist oft sehr unkonventionell. Sympathisch gezeichnet ist sie nicht, aber das will sie auch gar nicht sein.

Eine große Rolle spielt Varuna (eigentlich Heidrun), die Oma, die Arielle notgedrungen großzog, ihre Liebe aber eher ihren Nacktkatzen als der Enkelin schenkte. Die Schilderung ihrer Wohnung ist so detailliert, dass man sich blind zurecht finden würde.

Die letzten Seiten bergen eine kleine Überraschung, das Ende ist mir dann aber doch etwas zu abrupt und unvollendet.

Die Sprache ist klar, deutlich, manchmal sogar vulgär. Und dabei so ehrlich, wie die Menschen im Pott.
Die Straßenbahnszene (S. 16) portraitiert die Vielfalt der Region in ein paar Zeilen.
Da die Protagonistin aus der Social-Media-Branche kommt, musste ich als älteres Semester ein paar Begriffe googeln, die mir bisher nicht bekannt waren.

Das Cover hat mich gar nicht angesprochen, passt aber letztendlich gut, denn trotz allem Grau ist das Leben auch im Brennpunkt bunt.

Lisa Roy hat es geschafft, in fünf Kapiteln auf nur 236 Seiten sehr lebensnah eine Seite des Ruhrgebiets, in dem sie aufgewachsen ist, zu zeigen. Auch wenn gar nicht so viel passiert, zog mich die Geschichte in ihren Bann und ich konnte sie nicht aus der Hand legen.