Im Pott - nah dran und mittendrin

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Ein Cover, das für mich ein absoluter Hingucker ist, ein Anti-Titel, der neugierig macht, eine spannende Story und eine direkte Sprache, die sofort ihren Sog ausübt - das sind die Zutaten, die mich für Lisa Roys Erstlingswerk begeistert haben.

Die 30-jährige Arielle Freytag wird zurückgeworfen auf die Lebenswelt ihrer Kindheit und Jugend, in ein Unterschichtenmilieu, dem sie sich längst entwachsen fühlte. Inzwischen - vermeintlich - zu Hause in der hippen Social-Media-Welt, jedoch mit Depressionen behaftet, findet sie sich zwischen den tristen Wohnblocks Essen-Katernbergs wieder. Ein Hilferuf ihrer seltsamen Oma hatte sie erreicht. So landet Arielle mitten in ihrer Vergangenheit: Zwei verschwundene Mädchen lassen mit Macht die Erinnerung an ihre Mutter hochkommen, ebenfalls verschwunden, und zwar als Arielle erst sechs Jahre alt war.

Die Ich-Erzählerin Arielle ist wahrlich keine sympathische Protagonistin; sie macht es uns schwer, uns mit ihr zu identifizieren. Mit all ihren Schwächen, ihrem egoistischen Verhalten, ihrer unverblümten Sprache verkörpert sie eine Anti-Heldin - eigentlich schreit alles in ihr nach Liebe, die unerfüllt blieb, seit die Mutter gegangen ist. Fast verzweifelt richtet sie sich in ihren Gedanken direkt an ihre Mutter. Beim Lesen ist es manchmal schwer auszuhalten, der Erzählerin zu folgen: Sie fühlt sich schmerzhaft allein gelassen, flüchtet sich in kurze sexuelle Beziehungen, verliert sich im Alkohol, versinkt in Depressionen, kämpft sich wieder heraus. Ganz allmählich kann sie sich ein klareres Bild über ihre Vergangenheit machen. Sie fühlt sich - auch ohne die Mutter - nicht mehr so allein. Das immerhin macht Mut.