Ohne Mutter

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aischa Avatar

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Lisa Roys Debütroman ist definitiv nichts für Zartbesaitete. Die Geschichte spielt im Essener Stadteil Katernberg, einem sogenannten sozialen Brennpunkt. Hoher Migrant*innenanteil, viele Teenie-Schwangerschaften, Mietskasernen, Arbeitslose. Protagonistin Arielle hat scheinbar den Absprung aus dieser prekären Umgebung geschafft und verdient gutes Geld als Social-Media-Managerin im schicken Düsseldorf. Doch der Schein trügt - Arielle ist depressiv, voller Selbstzweifel und leidet an Panikattacken. Nur widerwillig kehrt die 33jährige in ihr altes Viertel zurück, um ihrer gebrechlichen Großmutter zu helfen. Denn dort lauern die Geister der Vergangenheit.

Roy erzählt die dramatische Story ausschließlich aus Sicht der Protagonistin. Die Sprache ist vom Kiez beeinflusst, in dem sie aufgewachsen ist: rauh, hart, direkt, schonungslos. Arielles Schicksal ist davon geprägt, dass ihre Mutter verschwand, als sie noch klein war. Seither findet in ihrem Kopf ein nicht abreißender Dialog mit ihrer abwesenden Mutter statt, der sich durch große Liebe und Zärtlichkeit auszeichnet. Die Kommunikation mit der Oma hingegen, bei der Arielle aufwuchs, ist voll gegenseitigem Misstrauen und hasserfüllter Vorwürfe. Arielles Sexualität ist extrem, sie bläst fremden Männern einen an öffentlichen Orten, sie hat Sex nicht mehr aus Lust, sondern aus Gewohnheit und "fürs Selbstbild".

Nach und nach entblättert die Autorin die erschütternde Familiengeschichte, bis hin zum schockierenden Ende. Der Roman hat viele Gänsehautmomente und ist geschickt aufgebaut, die authentischen Figuren konnten mich sehr überzeugen. Lediglich die zahlreichen Verweise auf Netflix-Serien und Influencer*innen waren für mich etwas anstrengend, da ich mich in diesen Medien kaum auskenne und viel recherchieren musste.