Bedrückend ehrlich

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Die Geschichte um Kim Jiyoung hat mich nachhaltig beeindruckt.
Wir begleiten die Südkoreanerin von ihrer Geburt im Jahr 1982 bis ins Jahr 2016, in dem das Buch auch tatsächlich erschienen ist. Dabei wird die Geschichte jedoch nicht von Jiyoung selbst erzählt, sondern von ihrem Psychiater, der sie aufgrund seltsamer Symptome behandeln soll.

Das Buch ist in Abschnitte aufgeteilt, welche immer mehrere Jahre umfassen und Jiyoungs Leben als Kind, Jugendliche, Studentin und Ehefrau beleuchten. Dabei wird in der Erzählung immer deutlich, wie sie von Männern in ihrer Umgebung beeinflusst, unterdrückt und belästigt wurde. Doch nicht nur von Männern geht eine emotionale Gewalt aus, auch die internalisierte Misogynie der Frauen, mit denen sie zusammen studiert oder arbeitet, beeinflussen Jiyoung, sodass sie am Ende nicht mehr das sagt, was sie wirklich denkt, sondern nur noch Antworten gibt, die in der Gesellschaft auch anerkannt sind.

Besonders hat mich mitgenommen, dass die beschriebenen Situationen keine Ausnahmefälle sind. Jeder kennt das „Was sich liebt, das neckt sich“ aus Kindheit und Jugend, kennt das „Wenn du nicht drauf eingehst, wird er schon wieder aufhören“ und sehr oft ist „Stell dich nicht so an, er ist doch nur freundlich“ eine Antwort, wenn man darauf hinweist, dass einem eine Person zu nahe gekommen ist.
Ich musste beim Lesen mehrmals inne halten, um zu rekapitulieren, was da passiert und wie oft es mir selbst schon widerfahren war. Das macht das Buch bedrückend, denn ich wurde als Leser direkt darauf hingewiesen, was in unserer Gesellschaft - auch an internalisierter - Misogynie existiert und dass sich diese durch alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen zieht.

Natürlich ist das Buch in seiner geschilderten Kultur ein koreanisches, doch keine der Verhaltensweisen habe ich bisher nicht auch in Europa sehen können.
Für mich ist es natürlich ein wichtiges Buch für Männer, aber noch wichtiger ist es meines Erachtens für Frauen, um zu sehen, dass man nicht alleine mit dem Erlebten ist.