Korea: "The worst place to be a working woman"

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minjo Avatar

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Ich freue mich sehr über diesen Roman aus einer Kultur, die uns in vielem doch sehr fremd ist: (Süd-)Korea. Ein Land, das vor allem durch seine technischen Fortschritte in der westlichen Welt bekannt und angesehen ist, doch über das Leben - vor allem das der Frauen - weiß man eigentlich nicht viel.

Das Cover des kleinen, schmalen Buches verkörpert das Thema des Buches schon sehr gut: eine gesichtslose Frau vor einer modernen Skyline. Doch schnell entdeckt man zwischen den Buchdeckeln, dass es sich um ein gesellschaftspolitisches Thema handelt und eigentlich die Geschichte unzähliger Frauen - übrigens nicht nur in Korea -, die tagtäglich versuchen, den hohen Erwartungen von Familie und Gesellschaft gerecht zu werden. Mädchen sind in vielen Ländern leider auch heute noch nicht so "wertvoll" und angesehen wie Jungen und das zieht sich durch ihr ganzes Leben. Die meisten fügen sich, manche zerbrechen daran oder werden krank.

Nach einem kurzen Intro über Kims momentane Lebenssituation und die ersten Anzeichen einer psychischen Erkrankung, beginnt die eigentliche Geschichte bei ihren Eltern und Kims frühe Kindheit: Sie ist die zweitgeborene Tochter und wie schon ihre älteren Schwester hätte auch sie ein Junge werden sollen. Unfassbar, dass ihre Mutter sich sogar bei ihrer Schwiegermutter dafür entschuldigt, wieder "nur" ein Mädchen geboren zu haben. Als sie wieder schwanger wird, ist der familiäre und gesellschaftliche Druck so groß, dass sie das Baby heimlich abtreiben lässt, als sie von ihrer Frauenärztin erfährt, dass sie wieder ein Mädchen erwartet. Mit dieser Entscheidung steht sie ganz alleine da und es bricht ihr fast das Herz. Geschlechterbestimmung und Abtreibung weiblicher Föten war gesellschaftlich absolut akzeptiert! Ein paar Jahre später bekommt sie doch noch den ersehnten Sohn und dieser wird wie alle Jungen mit dem goldenen Löffel großgezogen und nach Strich und Faden verwöhnt. Die strikte Rollenverteilung ist schon in der Grundschule und in der weiteren Schulausbildung ein großes Thema. Unter großen Mühen schafft es Kims Familie, sowohl ihrer Schwester als auch ihr ein Studium zu ermöglichen. Als sie beginnt, sich zu bewerben, merkt sie schnell, wie schwer es ist, als Frau einen Job zu ergattern. Schließlich hat sie Glück und bekommt einen Job in der Marketingabteilung eines mittelständischen Unternehmens. Doch die Arbeitswelt ist extrem hart in Korea. Es gibt dazu auch offizielle Statistiken, wobei Korea als "The worst place to be a working woman" gilt. Extrem lange Arbeitszeiten, sogar am Wochenende, und kaum Perspektiven, jemals befördert zu werden, denn "Frauen heiraten ja sowieso und bekommen Kinder und sind deshalb langfristig für die Unternehmen unrentabel. Deshalb bekommen sie dieunangenehmsten Aufgaben und schwierigen Kunden, währenddessen die jungen Männer 'geschont' werden, weil sie ja langfristig noch gute und langjährige Arbeit leisten sollen." Schließlich befindet sich auch Kim vor der Entscheidung: Kind ja oder nein? Eigentlich möchte sie ihren Job, für den sie so lange studiert und so hart gekämpft hat, nicht aufgeben. Doch von der Familie und ihrem Mann wird sie mehr oder weniger überredet und gibt letztendlich ihren Job sogar auf, um sich um ihr Kind kümmern zu können. Doch diese neue Aufgabe macht sie nicht wirklich glücklich und als sie öffentlich sogar - wie übrigens viele andere junge Mütter, die den Job aufgegeben haben, um sich um ihr Kind zu kümmern - als "Sch-mama-rotzerin" bezeichnet wird, ist das der berühmte Tropfen, der bei Kim das Fass zum überlaufen bringt ...

Der Schreibstil der Autorin ist klar und prägnant. Nüchtern wird von Kim Jiyoung's Kindheit, ihrer Familie und ihrer jetztigen Lebenssituation berichtet. Doch gerade durch diese Nüchternheit - ihre Geschichte wird von ihrem Psychiater erzählt - ging mir die Geschichte Kims umso mehr unter die Haut! Sie steht stellvertretend für das Schicksal vieler Frauen und man kann nur hoffen, dass in Korea irgendwann ein Umdenken stattfindet und das Arbeitsleben der Frauen auch nach der Geburt eines Kindes noch eine Perspektive hat. Doch solange die überwiegende Zahl der Männer, die in der Arbeitswelt nach wie vor das Sagen haben, an ihren Traditionen und Denkweisen festhalten, wird dieser Prozess noch sehr lange dauern. Der letzten Absatze des Buches zeigen dies nur allzu deutlich: Kims Psychiater versteht einerseits ihre Situation, da seine eigene Frau in einer ganz ähnlichen Situation gefangen ist, doch in seiner eigenen Praxis ist er nicht bereit, etwas zu ändern: "Selbst die fähigste Mitarbeiterin kann der Praxis in vielerlei Hinsicht zur Last fallen, wenn sie das Problem der Kinderbetreuung nicht zufriedenstellend lösen kann. Ich werde also darauf achten müssen, eine unverheiratete Frau einzustellen"
Da sind wohl noch viele weitere Massenproteste nötig, bis sich wirklich etwas ändern kann...

Ich fand diesen Roman sehr aufschlussreich und berührend, da er eben nicht nur eine fiktive Geschichte ist, sondern auf Fakten beruht. Deshalb kann ich das Buch jedem empfehlen, der gerne wirklich etwas über andere Länder und Lebensweisen erfahren möchte.