nicht ich

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angie99 Avatar

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Kim Jiyoung wird benachteiligt. Und das aus einem einzigen Grund: weil sie eine Frau ist. „Kim Jiyoung ist wie jede Frau“, heißt es im Klappentext. Und damit ist eigentlich schon alles verraten, um das es in diesem Buch geht.
Kim Jiyoung ist eine fiktive Figur - Mitte 30, studiert, verheiratet, ein Kind – die ein seltsames Verhalten an den Tag legt: Sie beginnt plötzlich wie ihre Mutter oder eine Studentin zu sprechen, so als wäre sie diese und kann sich danach nicht daran erinnern. „Zuerst suchte (ihr Mann) Daehyon allein einen Psychiater auf, erzählte vom Zustand seiner Frau und fragte ihn um Rat, was zu tun sei.“ (S. 18) Schließlich geht sie selbst zum Psychiater, der sich nun ihre Lebensgeschichte erzählen lässt – Kindheit, Ausbildung, Beruf, Familiengründung - und wir Leser:innen sind dabei und hören mit.
Diese Ausgangslage hört sich im ersten Moment noch außergewöhnlich an.
Doch „Kim Jiyoung ist wie jede Frau“. Die südkoreanische Autorin Cho Nam-Joo hat sich sichtlich bemüht, ihrer Protagonistin ein möglichst durchschnittliches Leben anzudichten. Damit will sie erreichen, dass sich ebenso durchschnittliche Menschen in sie einfühlen können und erkennen, wie frauenfeindlich die heutige Gesellschaft immer noch ist. Dadurch, dass Kim Jiyoung’s Leben allerdings so völlig belanglos vor sich hinplätschert, muss sich auch die Leserschaft auf eine ziemlich langweilige Lektüre einstellen.
Es ist allerdings nicht nur der ereignislose Inhalt, weswegen dieses Buch so überhaupt nicht mitreißt, sondern auch der allzu nüchterne Schreibstil. Über weite Strecken könnte es eine Reportage sein – es werden sogar Zahlen aus Studienergebnissen in den Text eingeflochten – doch dieses Konzept mit der gänzlich übergangslosen Mischung zwischen Fiktion und Realität ist in meinen Augen völlig missglückt. „Als Jiyoung 2005 ihr Studium abschloss, veröffentlichte ein Jobportal im Internet die Ergebnisse einer Untersuchung zur Frauenquote bei etwa hundert Unternehmen. Sie lag bei 29,6 Prozent.“ (S. 109)
Wo die Beschreibungen von Kim Jiyoungs Kindheit wenigstens noch kleine Einblicke in die südkoreanische Lebenskultur liefert, reiht sich ab ihrem Studium eigentlich nur noch eine frauendiskriminierende Szene an die nächste.
Der grundsätzliche schriftstellerische Leitsatz „show don’t tell“ blieb von der Autorin auf so schlimme Weise unbeachtet, dass es eigentlich nur noch weh tut.
„Jiyoung wurde gelegentlich zu einer anderen Person. Manche dieser Personen lebten noch, andere waren bereits tot. Alle waren Frauen aus ihrem unmittelbaren Umfeld.“ (S. 196) So hatte ich erhofft, dass ihre sogenannte Verrücktheit am Ende des Buches noch für einen Plottwist sorgt. Doch selbst da wurde ich enttäuscht.

Ja, ich verstehe das Anliegen dieses Buches.
Ja, es ist ungerecht, dass gut ausgebildete Frauen keinen Job bekommen, nur weil sie Frauen sind.
Ja, es ist haarsträubend, dass in unserer ach so fortschrittlichen Welt Frauen weniger verdienen als Männer.
Aber: nicht in dieser Form!

Diese in Selbstmitleid versinkende Frau hat mich überhaupt nicht angesprochen. Sie hat mich nur genervt.
Ich war definitiv die richtige Adressatin für dieses Buch.
Wahrscheinlich, weil ich mein eigenes Leben nicht als eine Aneinanderreihung von Benachteiligungen empfinde.
Nein, Kim Jiyoung ist NICHT jede Frau. Nicht ich.