Traditionelle Unterdrückung in einem modernen Land

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la tina Avatar

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Auf sehr bewegende Weise schildert die Autorin das Leben der Mittdreissigerin Jiyoung, die in einer Zeit aufgewachsen ist, in welcher die Gleichberechtigung der Frau noch in den Kinderschuhen steckte. Ihr Bestreben, es allen recht zu machen - der Familie wie der Gesellschaft- endet zuletzt in psychischen Auffälligkeiten, einem Nachgeben des immensen Drucks, der auf ihr lastet. Und an genau dieser Stelle beginnt das Buch, bevor Jiyoungs Leben als Rückblende erzählt wird.
Beeindruckend ist der Vergleich der Generationen: Die Schwiegereltern, welche mit der Überzeugung leben, ein Sohn sei das einzig Wahre und müsse vor allen anderen Familienmitgliedern gefördert werden, während die Frau gegenüber dem Mann dankbar sein solle, ihm dienen zu dürfen und sich bitteschön ehrenvoll zu verausgaben habe. Die Mutter, die so gern Lehrerin geworden wäre, aber zum Wohle des kleinen Bruders in Kinderarbeit seine Ausbildung mitfinanzieren musste. Der eigene Bruder, der noch wie selbstverständlich bevorzugt behandelt wird. Mitschülerinnen und Mitstudentinnen, welche nach langem Kampf erste Teilsiege erringen. Die Bevorzugung der Männer in Schule, Studium und Job. Sexuelle Belästigung und die automatische Schuldzuweisung an die Frau, während sich die Täter keiner Schuld bewusst sind. Die überzogene Erwartungshaltung an die Frau, die eigenen Interessen zurückzuschrauben, wenn es um die Familie geht. Die Vorurteile der Männer. Und zuletzt der höhnische Blick der jüngsten Generation, wie dumm sie doch ist, sich für veraltete Wertvorstellungen aufzugeben.
Ein bewegendes, stellenweise schockierendes Buch, welches wunderbar zur „MeToo“-Thematik passt und Einblick in die Unterdrückung koreanischer Frauen gewährt. Bewohnerinnen eines Landes, in dem die Gleichstellung der Frau zwar auf dem Papier geregelt, in den Köpfen vieler Bewohner jedoch noch nicht angekommen ist.