Zwiespältig

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takabayashi Avatar

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Ist es ein Roman? Oder eher eine sozialwissenschaftliche Abhandlung? Etwas von beidem. Zwischendurch gibt es immer wieder Fußnoten, wie in einer wissenschaftlichen Arbeit Angaben zur Herkunft der demographischen Daten, die im Text mitgeteilt werden. Das ist meiner Meinung nach auch die Crux dieses Romans: man erfährt sehr viel über die Situation der Frauen in Südkorea, die so viel anders nicht ist als bei uns vor ca. 70 Jahren, aber das Einzelschicksal von Jiyoung wird so kühl geschildert, dass einen zwar die Fakten erschüttern, die Erzählung einen jedoch emotional nicht packen kann. Das Buch liest sich trotz Fußnoten durchaus flüssig, aber es fehlt der gewisse Hoffnungsschimmer, damit es einem Spaß machen könnte. Jiyoungs Lage ist ziemlich hoffnungslos, die gesellschaftlichen Erwartungen erdrücken sie. Nachdem es ihr tatsächlich gelungen ist zu studieren und schließlich auch einen relativ guten Job zu finden (immer unterstützt von ihrer Mutter, die ihrer Tochter gern ihr eigenes Schicksal ersparen möchte), lernt sie einen netten jungen Mann kennen und heiratet ihn. Aber nun ist auch die Schwiegerfamilie im Spiel, die dringend einen Stammhalter erwartet ... viel früher, als es Jiyoung lieb ist. Als sie schwanger wird, erscheint es für alle logisch, dass sie ihren hart erkämpften Job aufgibt. Das Geld, das ihr Mann nach Hause bringt, reicht hinten und vorne nicht, weshalb sie sich dann schließlich einen schlecht bezahlten Teilzeitjob sucht, der sich mit Kinderversorgung und Haushalt kombinieren lässt. Und dafür hat sie studiert? Sie fühlt sich ständig müde und ausgelaugt und wird depressiv und psychisch krank. Das ist sehr traurig und deprimierend. Sicher ein wichtiges feministisches, und für Korea bahnbrechendes Buch, aber dass es zum Bestseller geworden ist, erstaunt mich.
Für uns als westliche Leser wirkt das alles sehr weit entfernt und exotisch, dabei sind dieselben Denkweisen - wenn auch in abgeschwächter Form - doch auch bei uns immer noch gang und gäbe!