Fesselnder Einblick in Politik, Gesellschaft und medizinischen Fortschritt um 1930

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Inhalt
Die beiden Schwestern Marlene und Emma sind an der Kinderklinik Weißensee beruflich erfolgreich, Emma wird zur Oberschwester befördert. Dennoch sind sie nicht vollkommen mit ihrem Leben zufrieden. Emma bekommt es erneut mit ihrer alten Widersacherin Marie Luise Fischer zu tun, die als neu eingestellte Oberin ihre Vorgesetzte wird. Die neue Oberin führt allerlei Freiheiten und Bequemlichkeiten für die Schwestern und Schwesternschülerinnen ein, deren Arbeitsmoral und der Pflegedienst leiden jedoch darunter, sodass es zu wiederholten Beschwerden durch die Eltern der kleinen Patienten kommt. Schließlich droht die Krankenhausaufsicht mit der Schließung der einst renommierten Kinderklinik.
Außerdem macht Emma sich Sorgen um ihren Sohn Theodor, der über andere Jugendliche in die Fänge der NSDAP geraten ist.
Marlene geht nach wie vor in ihrem Beruf auf, doch sie steht unmittelbar vor einem Burnout; die Kinderlosigkeit in ihrer Ehe, die ihr Mann unter anderem auf Marlenes Überarbeitung zurückführt, belastet sie so sehr, dass sie eine Auszeit von ihrer Berufstätigkeit nimmt. Erwartungsgemäß ist sie als gelangweilte Nur-Ehefrau unglücklich und kehrt in den Medizinbetrieb zurück, um an den Forschungen zum neu entdeckten Penicillin teilzuhaben – als Kinderärztin begreift sie sofort, welches Potenzial in diesem Wirkstoff, der viele Menschenleben retten könnte, steckt. Ihr Mann untersagt ihr die Wiederaufnahme der Arbeit nicht, doch die Ehe gerät in eine ernste Krise.


Beurteilung
„Tage des Lichts“ ist der dritte Band der Reihe „Kinderklinik Weißensee“ und sollte erst im Anschluss an die beiden vorherigen Bände gelesen werden, da wiederholt auf die private und berufliche Vorgeschichte der Schwestern eingegangen wird.
In gewohnt flüssigem und anschaulichem Erzählstil entfaltet die Autorin ein breites Panorama der Zeit um 1930, die vom Ende der Weimarer Republik und dem Aufstieg der NSDAP geprägt ist. Diese Partei versucht über Angebote an junge Leute neue Anhänger und Mitglieder zu rekrutieren, das geschieht teilweise durch Veranstaltungen und Angebote für die Jugend, teilweise auch in den Schulen, in denen nationalsozialistische Lehrer die Schüler zu „aufrechten Deutschen“ erziehen wollen.
Neben den unheilverkündenden politischen Entwicklungen hat die Zeit jedoch auch positive Aspekte zu bieten. In der ärztlichen Behandlung und pflegerischen Versorgung gibt es immer neue Fortschritte, bahnbrechend ist die zufällige Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming. Im vorliegenden Roman forscht Marlene mit anderen Ärzten an der Herstellung von Medikamenten aus der „Schimmelpilzbrühe“, diese gelang – wie die Autorin im informativen Nachwort ausführt - in der Realität jedoch erst einige Jahre später.
Sehr interessant ist auch der Einblick in die Gesellschaft der späten Zwanzigerjahre im Allgemeinen und in die sich wandelnde Struktur in den Ehen im Besonderen. Die Menschen der Zwanzigerjahre entdecken das Nachtleben für sich und wollen nach den bitteren Jahren des Ersten Weltkriegs das Leben genießen. Die weniger wohlhabende Bevölkerung wird allerdings von der rasenden Inflation schwer getroffen und verarmt weiter. Viele Frauen lassen sich nicht mehr in die Rolle der Hausfrau und Mutter zurückdrängen, was durchaus Konfliktpotenzial birgt. In den Hörsälen der medizinischen Fakultäten sitzen zunehmend auch junge Frauen.
Die Figurenzeichnung der Protagonisten ist sehr gelungen, diese sind zwar Sympathieträger, weisen aber auch menschliche Schwächen auf, die einst sehr schwarz gezeichnete Marie Luise Fischer wird dagegen in diesem Band realistischer porträtiert.
Ein informatives Nachwort und eine Bibliographie runden den überaus fesselnden Roman ab und kündigen den vierten Band an, dessen Handlung 1948/1949 spielen wird.


Fazit
Fesselnde Lektüre, die einen interessanten Einblick in Politik, Gesellschaft und medizinischen Fortschritt um 1930 bietet!