Wertschätzender, wohltuender, wichtiger Perspektivwechsel

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
blume Avatar

Von

Ein schönes Buch. Warum? Weil ich mich als Mutter von zwei willensstarken Kindern gleich bei den ersten Sätzen auf wertschätzende Art und Weise abgeholt gefühlt habe. Authentisch schildert die Autorin da, mit der Erziehung ihrer Tochter überfordert gewesen und zu sein und wie enttäuschend es sich anfühlt, wenn der Traum vom Kind doch auch nicht selten einem Albtraum gleicht.

Genau das finde ich nämlich so unerträglich, wie viel geschönt wird beim Thema Erziehung und wie selten Mütter/Väter sich einfach auch mal trauen zu sagen, dass es nicht leicht und man manchmal schlichtweg am Ende seiner Weisheit ist. Wir lieben unsere Kinder so sehr - aber warum fühlt es sich so oft nach Kampf an? War das früher auch so? Wie machen es andere Bevölkerungsgruppen?

Die Autorin schildert im Buch ihren Weg zu einem besseren Umgang mit ihrer Tochter, den sie über das uralte Erziehungswissen uns "Westlern" völlig fremder Kulturen erlernen durfte. Von Lateinamerika nach Afrika in die Arktis bekommen hier verschiedene Stämme und Völker eine Bühne und mir gefällt der Respekt, mit dem die Autorin sich diesen vermeintlich "veralteten" oder unmodernen Kulturen annähert.

Ziel des Buchs ist es, eine neue Perspektive zu unserem westlichen Erziehungsparadigma ermöglichen, dabei wird aber nicht die Moralkeule geschwungen oder zusätzlicher Erwartungsdruck auf die Eltern aufgebaut. Also kein "du musst es ab jetzt so und so machen, nur dann klappt es und du bist ein guter Elternteil!". Sondern ein "schau mal, so kann es auch gehen" mit Angeboten, auch im Kleinen auszuprobieren - ohne Radikalumkehr oder neues Dogma. Der Fokus liegt dabei auf Umsetzbarkeit und wird z.B. anhand von Übungen zu verschiedenen Themen wie Motivation, Kooperation, aber auch der eigenen Wut – Stichpunkt mom rage – verdeutlicht.

Ich finde den Grundton des Buches wahnsinnig wohltuend und sympathisch. Oft sind Ratschläge und ratschlagende Bücher ja eher Schläge und das finde ich hier eben nicht. Ich selbst merke, wie ich mit der Rolle, die die Gesellschaft einer modernen, westlichen Frau aufdrückt, sehr hadere. Da sie oft fast Unmögliches erwartet und sich das für mich auch nicht natürlich anfühlt.

Nie in unserer Stammesgeschichte war nur eine Person, oft heutzutage die Mutter, fast alleine für die komplette Alltagsbewältigung mit Kind zuständig. Mental Load, Mom Guilt, Mom Rage, Eltern-Burnout, Überstimulierung, all diese Schlagwörter für entsprechende Konsequenzen aus dieser Rollenzuschreibung gab es wohl schon immer, aber sicher nicht in der zugespitzten Form, wie viele Mütter – und natürlich auch Väter – sie heute leider erleben (müssen). Und dann noch nicht mal drüber reden können, weil man dann evtl. noch böse Blicke oder fehlende Solidarität seitens anderer Eltern erntet. Letztlich in meinen Augen ein zwar individuelles Problem, was eigentlich aber nur gesellschaftlich-kollektiv gelöst werden kann. Da wir davon aber weit entfernt sind, muss sich eben doch das Individuum selbst helfen. Genau dafür finde ich solche Bücher wichtig.