Ein englischer Krimi

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wortknaeuel Avatar

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Die grausig zugerichtete und verkohlte Leiche eines Playboys führt Detective Sergeant Breen auf eine Spur durch die Kunstgalerien und Hippiekommunen im London der 60er Jahre … Damit beschert uns dieser englische Krimi von William Shaw ein paar feine Lesestunden ganz ohne die üblichen Scotland-Yard-, Sherlock-Holmes- oder Mrs.-Marple-Klischees.

„Kings of London“ ist der zweite Kriminalroman rund um Sergeant Cathal Breen und seine Kollegin Helen Tozer. Ich habe den ersten nicht gelesen und hatte keine Probleme, mich in die Charaktere und ihre Welt einzufühlen. Ihre Welt, das ist London anno 1968, das gern (auch auf dem Klappentext) als schillernd und swinging beschrieben wird, aber nicht in diesem Buch. William Shaw beschreibt die Kehrseite der Medaille, die düsteren Seiten der Stadt, Schein und Sein in der Szene, das wahre Gesicht von Drogen und sexueller Revolution. Es ist Herbst, der Summer of Love ist vorbei – das schlägt sich nicht nur im nasskalten Wetter nieder, das Breen mit Münzheizung und schalem Kaffee stoisch erträgt. Das Hippiesein ist zur Mode geworden und hat seine ursprüngliche Bedeutung verloren. Happenings werden von Fanhorden belagert, in der Hoffnung einen Blick auf Promis der Musikszene zu erhaschen, Frauen entblößen sich im Drogenrausch und ernten statt Freiheitsgefühlen nur Pfiffe und Zurufe notgeiler Schaulustiger, und auch der Heroinkonsum bringt statt der ersehnten Freiheit Abhängigkeit und Tod. Funfact: bis 1968 gab es in London Heroin noch beim Hausarzt auf Rezept.

Cathal Breen steht den kulturellen Bewegungen seiner Zeit ohnehin skeptisch gegenüber. Mit Rockmusik kann er nichts anfangen, er trägt seine Haare gewohnt kurz und kleidet sich konventionell, grau-braun. Mit Anfang 30 hält er sich einfach schon zu alt für diesen Quatsch. Er ist ein ruhiger und in sich gekehrter Charakter, der seine bodenständigen Werte wie Fleiß, Respekt und Ehrlichkeit von seinem irischen Vater geerbt hat, den er jahrelang gepflegt hat und ohne den sein Leben plötzlich nur noch aus seiner Arbeit besteht. Tozer hingegen verkörpert die swinging 60s noch am ehesten: sie ist jung, dünn, trägt einen Bob und Minirock und erinnert somit womöglich an Twiggy. Sie leidet unter der Diskriminierung als Frau in einem Männerberuf, indem sie nur Frauen und Kinder befragen darf und von der Ermittlungsarbeit größtenteils ausgeschlossen wird. Sie ist voller Lebenshunger und trotzt dem vorherrschenden Chauvinismus mit einem kessen Spruch. Obwohl sich eine kurze Liaison im ersten Band abgespielt haben muss, knistert es nur wenig zwischen den beiden, ihre Beziehung ist eher freundschaftlich. Genauso wie das Wetter wirken die Charaktere, trotz einiger Schlägereien, insgesamt eher kühl und distanziert. Dennoch finde ich sie mit ihren Päckchen, die ein jeder für sich zu tragen hat, interessant und schiebe es auf das typisch englische Understatement, dass man ihnen nie zu nahe kommt.

Ich bin kein Krimifan und kann die Handlung daher nicht nach üblichen Maßstäben beurteilen. Ich fand sie mäßig spannend, aber auch nicht vorhersehbar. Das Drumherum, die realistisch skizzierten Menschen und die gesellschaftlichen Umbrüche, die anhand Breens Ermittlungen in der Kunst- und Hippie-Szene angedeutet werden, empfand ich als weitaus interessanter als die Aufklärung des Mordfalls. Man bekommt einen Eindruck davon, wie die „Swinging Sixities“ in London wirklich gewesen sein müssen, abseits der schrillbunten Bilder, die ich sonst nur aus Dokumentationen und Fotos kenne.

„Man war zu einer besonderen Zeit an einem besonderen Ort, und das vor allen anderen. Man war dabei, aus dem vorhersehbaren Grau und Braun Großbritanniens in etwas Größeres und Fremderes auszubrechen.“

Ein Krimi mit typisch englischem Charakter: kühl wie das Wetter, trocken wie der Gin – somit genau richtig für zu heiße Sommerabende im Lesesessel!