Toller Spagat zwischen Millieustudie und Krimi

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ismaela Avatar

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"Kings of London" ist der zweite Band einer Trilogie um das Ermittlerduo Cathal Breen und Helen Tozer, die Ende der 1960er Jahre in London ihren Dienst versehen.
Ich habe vor diesem Band noch schnell den ersten dazu gelesen, das ist aber für das Verständnis nicht unbedingt notwendig, man kann den zweiten Band auch ohne "Vorkenntnisse" genießen, auch wenn sich einem dann manche Vorkomnisse und Handlungsstränge erst im Laufe der Geschichte erschließen.

In London fliegt ein Gebäude in die Luft, und als eine verkohlte Leiche darin entdeckt wird, ist schnell klar, dass es sich hier nicht um einen (Gas-)Unfall handelt, zumal die Leiche gehäutet wurde und kein Tropfen Blut mehr auffindbar ist. Weder in der Leiche, noch am Tatort. Breen und Tozer versuchen, diesen rätselhaften Fall zu lösen, müssen aber dieses Mal gegen mächtigere Feinde in Gestalt von Ministeriums- und Scotland-Yard-Mitarbeiter kämpfen, und sich zudem noch durch die internen Querelen quälen, die vor allem Helen Tozer betreffen, weil sie eine Frau ist. Im Laufe der Geschichte machen die beiden Bekanntschaft mit Hippies, Drogen, eine sich etablierende Kunst- und Alternativszene, aber auch neuen Freunden, und versuchen nebenher auszuloten, wie es mit ihnen beiden weitergeht.

Mir hat dieses Buch in zweierlei Hinsicht sehr gut gefallen:

Zum Einen bekommt man einen tollen Einblick in das Leben und die Szene (hier:) in London in den sehr späten 1960er Jahren (immer vorausgesetzt, der Autor hat gut recherchiert, wovon ich hier ausgehe), ohne dass der Autor dabei zu stark wertend ist. Der Leser kann sich seine eigene Meinung bilden, es fällt aber schon auf, wie hilflos die meisten Alternativanhänger ihren Idolen hinterherhecheln, immer in der Annahme, ein besseres, freieres, sozialeres Leben zu führen mit allem, was dazugehört: Drogen, Sex, keine Regeln, keine Einschränkungen, alles frei, alles easy. Dass Drogen aber Menschen zerstören, "freie Liebe" einfach nur ein männliches Synonym für Hurerei ist, das v. a. junge Mädchen fertig macht, und keine Regeln und Einschränkungen aber auch immer heißt, damit andere Menschen in ihren Persönlichkeitsrechten einzuschränken und zu stören - diese Tatsachen werden nicht unter den Teppich gekehrt, sondern immer wieder thematisiert. Genauso aber auch die Korruption und die Vetternwirtschaften, die die Polizei durchzieht, und die oftmals zu brutalen Eskalationen führen, die aber kaum geahndet werden, weil alle "zusammenhalten".

Zum Anderen fand ich die Schilderung des Kriminalfalles sehr gelungen. Wie schon im ersten Band verzichtet der Autor auf reisserische und absurd brutale Schlächterszenen, die momentan so "in" sind, sondern beschreibt einen ganz normalen Polizeialltag und die ganz normale Aufklärung eines Falles. Dabei sind die Ermittler nicht irgendwelche seltsamen Kauze, die ein Alkohol-/Scheidungs-/Missbrauchs-/Autoritäts-/Was-weiß-ich-Problem haben, sondern einach versuchen, ihr Leben zu leben, mit allen Sorgen, Problemen, aber auch Freuden, die dazugehören. Es stimmt, man sitzt nicht nägelkauend vor den Seiten, nicht wagend, das Buch aus der Hand zu legen, das muss aber auch nicht sein. Der Autor verschafft dem Leser sehr gute Unterhaltung auf einem sehr hohen Niveau, einem gut ausgearbeiteten Spannungsbogen und einem tollen Schluss. Der Schreibstil ist flüssig und unterhaltsam. Und: die Dialoge. Sie sind meiner Meinung nach mit das stärkste an diesem Buch.

Einen winzig kleinen Abstrich muss ich allerdings machen: das Cover. Die tatsächliche Gestaltung ist sehr gelungen - nur das Foto! Leute! Es gibt nichts hässlicheres, als eine Frau, die eine Zigarette an der Lippe kleben hat. Und auf diesem Foto sieht das Ganze nochmal so fies aus. Weil das aber den Inhalt nicht beeinflusst, ist das nur eine kleine Bemerkung am Rande.

Von mir gibt es für dieses Buch eine klare Leseempfehlung!