Zeitreise: Polizei-Ermittlungen im London der späten 60er Jahre

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William Shaw entführt die Leserinnen und Leser nicht nur in das London der Swinging Sixties, sondern auch in die Welt der Metropolitan Police der späten 60er Jahre: Keine Handys, manuelle Schreibmaschinen, Frauen bei der Polizei spielen lediglich eine Nebenrolle, arbeiten dort als Sekretärin oder dürfen als Polizistinnen lediglich die Befragung von Frauen und Kindern übernehmen, selbst Dienstfahrzeuge dürfen sie nicht führen, Schwarz-Weiß-Fotos, keine CSI-mäßigen Tatort-Sicherungen sondern Tatorte werden aus Sicherheitsgründen unter Umständen auch einmal niedergewalzt, Rauchen am Arbeitsplatz ist noch erlaubt und überall chic, das sich Emblem von New Scotland Yard wird gerade erst installiert – und dreht sich nicht so hübsch, wie beabsichtigt.
Polizist Cathal Breen, den aufgrund seiner irischen Wurzeln alle nur despektierlich Paddy nennen, und Helen Tozer, die den Polizeidienst nach Weihnachten quittieren wird, um sich schweren Herzens um den Bauernhof der Familie in Devon zu kümmern, ermitteln gemeinsam im Fall des ermordeten Sohns des britischen Innenministers. Schon bevor dessen Haus angezündet wurde, war der junge Mann, ein Dandy und Kunstsammler, bereits tot. Breen kann nur noch eines der modernen Kunstwerke und ein paar Rechnungen aus dem Haus bergen. Können diese der Aufklärung dienlich sein? Denn schon tritt der engste Mitarbeiter des Innenministers auf den Plan und schreibt der Polizei genau vor, wer zu befragen ist und wer nicht, was an die Öffentlichkeit getragen werden kann und was nicht. Hängt der zweite Fall des Ermittler-Duos auch mit dem Quittieren des Dienstes ihres Kollegen Michael Prosser zusammen, dessen hübsche Witwe und ihr behinderter Sohn ebenfalls auf den Plan treten, wie auch eine nicht ganz so freie Hippie-Kommune, die neuen britischen Drogengesetzte, ein Baulöwe und die authentische, schillernde Figur des Galeriebesitzers Robert Fraser? Auch das Privatleben der beiden Polizisten wird beleuchtet und die Frage, wie und ob sie ihre Affäre fortsetzen sollen, wenn Helen nach Devon zurückgeht und Cathal noch nicht über den Tod seines allein erziehenden Vaters, den er jahrelang pflegte, zu dem er aber nie eine innige Bindung spürte, hinweg ist. Auch wird Cathal auf der Arbeit gemobbt, erhält Morddrohungen, der ihm wohlgesonnene Chef erleidet einen Herzinfarkt und ein junger, gewalttätiger Kollege sorgt für Unruhe auf dem Revier. Das glitzernde Swinging London ist längst nicht für alle erreichbar; Klassenunterschiede, Wohnsituation, Einwandererschicksal, die Anfänge der Emanzipation und die emotionale Steifheit der Briten bestimmen das Bild.
Wie eine Zeitmaschine wird man in eine – mir fremde – Welt katapultiert, blickt von der Gegenwart in die Vergangenheit und hat Spaß, erfolgreiche Ermittlungen „zu Fuß“ zu erleben, ohne technischen Schnickschnack und weitere Spielereien. Auch wenn man den ersten Fall von Cathal Breen und Helen Tozer nicht kennt, kann man die Story gut nachvollziehen. Auswirkungen des vorherigen Falls beeinflussen zwar die Geschichte, werden aber gut erklärt. Ebenso erhält man eine Ahnung, welche Teile der Erzählung im nächsten Band fortgeführt werden. Keine Szene wirkt übertrieben, es gibt keine phantastischen Stunts – und genau das macht den gut geschriebenen Krimi aus. Deshalb habe ich den ersten Band direkt geordert und warte auf die deutsche Übersetzung der nächsten Bände. Einziges Manko: Ab und an ein Schreibfehler und wenn, vielleicht bei der Übersetzung, aus Helens zuerst schwarzen Stiefeln noch in der gleichen Szene auf den nächsten Seiten dann braune Stiefel werden.