Manchmal beginnt das Leben mit 30

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In der Gegenwart: Thomas, genannt Klapper, ist gerade 30 Jahre alt und lebt noch immer mit den Möbeln aus seinem Jugendzimmer in einer Einzimmerwohnung. Obwohl er mal so ambitioniert war, ist er in seinem Job nicht weit gekommen. Er hangelt sich durchs Leben. Zufällig öffnet er mal wieder sein ehemaliges Lieblingsspiel Counter Strike und stolpert dabei über das User-Profil seiner Freundin Vivi Meier, genannt Bär, aus Jugendtagen. Seine Gedanken gehen zurück in die Zeit, als er 16 war.

Klapper ist das, was man einen Nerd oder einen Loser nennen könnte. Seine Helden sind Oliver Kahn und Til Schweiger, also echte Kerle, die sich nichts gefallen lassen und immer einen Ausweg finden. Alles, was er nicht kann. Er trägt Shirts von Metal-Bands, einen langen dunklen Mantel, hat keine sozialen Kontakte, bemüht sich aber auch nicht darum. Daher ist es ein echter Schock für ihn, als eine neue Schülerin in die Klasse kommt und die sich ausgerechnet den Platz neben ihm aussucht. Schnell stellt sich heraus, dass auch sie, die sich Bär nennt, nicht ins Schema der restlichen Klassenkameraden passt, obwohl sie sich nicht ganz so abschottet, wie Klapper. Ganz langsam freunden sich beide an. Counter Strike ist ihre gemeinsame Basis. Aber nicht nur das. Im Laufe der Zeit stellt sich heraus, dass beide in ihrem Zuhause nicht so behütet sind, wie es scheinen mag. Beide Elternpaare haben ihre Probleme. Klappers Eltern im sozial schwächeren Teil der Stadt, Bärs Eltern im Wohlstandsviertel.

Hin und wieder machen wir einen Abstecher in die Gegenwart. Es zeichnet sich schnell ab, dass Klapper tatsächlich irgendwie in seiner Jugend hängengeblieben zu sein scheint. Die Zeit um 15 ist besonders prägend. Auf gewisse Weise wirkt das, als würde er etwas Bestimmtes festhalten wollen. Beruflich hängt er fest, da läuft es eher schlecht. Privatleben hat er auch nicht wirklich. Man merkt schnell, da liegt etwas im Argen. Ganz langsam klärt sich auf, wie es zu dieser Situation kommen konnte und man fragt sich, warum Klapper nicht endlich aufwacht und aus dem Hamsterrad ausbricht.

Das Buch wirkt so harmlos und teils meint man, das Leben von Klapper sei einfach nur langweilig. Man braucht viel Feingefühl, um zu erkennen, was wirklich los ist. Man hofft, dass eine Initialzündung Klapper dazu bewegt, etwas zu ändern. Diese kommt auf völlig unerwartete Art und wie die Folgen sein werden, bleibt der Phantasie und Interpretation des Lesers überlassen. Sehr eindrucksvoll erlebt man dabei, wie prägend das Elternhaus ist, wie schwerwiegend die Folgen, wenn die Eltern psychische Probleme haben, Alkoholiker sind oder sonst irgendwie nicht funktional sind. Man fragt sich, hinter welcher Tür in der Nachbarschaft genauso viele Geheimnisse stecken, wie bei Bär und Klapper. Da denke ich an den Spruch meiner Mutter: Unter jedem Dach ein Ach.

Der Roman geht tief und hat so viele kleine versteckte Hinweise, dass man am Ende am liebsten von vorne beginnen möchte, um zu finden, was man zuvor übersehen hatte. Auf so wenigen Seite hat Prödel so viel untergebracht, ohne es zu zerreden oder im Detail zu schildern. Großartig gelungen! Fünf Sterne!