Kleine Probleme, großes Lesevergnügen

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angie99 Avatar

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Triggerwarnung: Sarkasmus, political incorrectness, Gefahr von Lachkrämpfen / erhöhter Zwerchfellbelastung

„Im Grunde ist es natürlich vollkommen egal, wie das Wetter war. Also, es nieselte…“ (Erster Satz, S.9) - „… Aber im Grunde ist es wirklich vollkommen egal, wie das Wetter war, man muss nur irgendwie anfangen, und dann fängt man eben beim Wetter an, weil das einfach ist, und gerade am Anfang muss man es sich einfach machen, denn, das weiß man, aller Anfang ist schwer und, das weiß man auch, Mitten sind noch viel schwerer, also muss man es sich am Anfang leicht machen, damit man noch etwas übrig hat für die Mitte mit all ihren Mühen.“ (S. 11)
Ich zitiere.
Denn am Anfang muss ich es mir einfach machen.
Denn dann habe ich vielleicht noch Körner für die Mitte. Und vielleicht liest das dann sogar Jemand. Vielleicht sogar bis zur Mitte. Oder gar bis zum Ende. Wer weiß.
Und dann dachte ich noch, ach, was für ein tolles Buch, das wird ein Spaß, das zu rezensieren. Nur um dann dazusitzen und nicht zu wissen, wo ich anfangen soll.
Deshalb also mit einem Zitat. Mit dem Niesel. Und dem Anfang. Damit schon am Anfang klar wird, wie das mit diesem Buch so läuft. Dass da auch mal lange Sätze drin vorkommen können und verschachtelte Sätze, die aber trotz allem verständlich bleiben und, zumindest bei mir, sogar für einiges Schmunzeln sorgen, obwohl es ja so ganz banale Dinge sind, die da vorkommen, aber manchmal sind ja gerade die banalsten Dinge wie Niesel und Anfänge die lustigsten. Wenn man denn weiß, wie sie zu formulieren sind. Und das weiß Frau Pollatschek. Ziemlich genau sogar.
Denn die Grundidee dieses Buches wirkt prinzipiell banal.
Da ist ein 49jähriger Typ, der nichts auf die Reihe bekommt, obwohl er ja gerne würde und so. Aber er leidet unter schlimmster Aufschieberitis, ist sozusagen der Prokrastrinationsprofi schlechthin. Und jetzt ist 31. Dezember – die Deadline „dieses Jahr noch“ rückt also minütlich näher. Dabei ist die Couch gerade so kuschelig, und es nieselt so grausig da draußen (habe ich das bereits erwähnt?). Wird er es trotzdem noch schaffen, sich aufzuraffen? „Jetzt oder nie. Also jetzt.“ (S. 23)
In 13 Kapiteln, die seiner To-Do-Liste entsprechen, erleben wir den Familienvater Lars, wie er sich irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen neuer Hoffnung und absoluter Verzweiflung, zwischen letzter Kraft und größter Anstrengung an die Abarbeitung seiner viel zu lange aufgeschobenen Aufgaben macht.
Mit unheimlicherer Treffsicherheit manövriert uns die Autorin durch die verschiedenen Geisteszustände des „Larsmännchens“ und verbindet dabei auf wunderbar abgefahrene, sprachkreative Weise Niezen mit Plodden, Zauberwürfel mit Kekskrümeln, Pragmatismus mit Philosophie, Steuererklärung mit Adorno, Neuronen mit Geschenkbändern und dann wiederum den Nudelsalat mit der Nieze. Will heißen, es wird ein bisschen schräg und manchmal geraten die Sprachschwälle sogar ein bisschen aus dem Ruder. Zugegebenermaßen. Doch das dämpft das Lesevergnügen nur kurzzeitig, denn bald schon taucht eine neue Herausforderung, eine neue Idee oder ein neuer Sprachwitz auf.
Und tatsächlich musste ich so oft und oft so kringelig lachen, dass sich meine Mitmenschen mit einem „Schon wieder das Buch?“ über die Ruhestörungen beschwerten. Sorry I’m not sorry. Ich habe es genossen…!
Wie soll man jetzt zu dieser mühevollen Mitte noch einen guten Abschluss finden?
Natürlich mit einer wärmsten Leseempfehlung für alle, die einem nerdig-schräg-gräulich-schwarzen Humor nicht abgeneigt sind. Allen, denen es gedanklich nicht fremd ist, lieber „die Raumzeit mit einem Ring aus rotierenden Lasern einzukrümmen und somit eine Zeitschlaufe zu binden“ (S. 176), als einfach pünktlich anzufangen. Für „alle, die noch etwas zu erledigen haben.“ (Widmung, S. 5)
Und natürlich mit einem passenden Zitat:
„Nein. So endet es immer. Aber nicht heute. An jedem anderen Tag endet es so, aber heute endet es anders. Und wenn ich mir die Gedanken mit einer Kneifzange einzeln aus dem Kopf ziehen muss, wenn ich mir jeden Knochen persönlich brechen muss, heute endet es anders.“ (S. 184)
Wie? 42 wäre natürlich eine mögliche Variante. Aber eben: Es endet anders. Und wie, das müsst ihr schon selber lesen…!