Ruhiges Buch mit einem fundierten Zugang zur japanischen Kultur, Trauerphasen und der Lebensmitte. Empfehlenswert!

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Beth Kempten ist studierte Japanologin und hat wohl schon viele Japanreisen hinter sich. Ihr kulturelles Wissen ist enorm und der Leser profitiert hier auf alle Fälle von den wunderschönen Beschreibungen der Landschaften und der Philosophie Japans.
Wie es der Zufall wollte, erwischte mich dieses Buch genau in der Lektüre von James Clavells „Shogun“ und nach Barbara Bleischs „Mitte des Lebens“, was die perfekten Voraussetzungen für „Kokoro“ zu sein scheinen. Hier finde ich einen Ansatz zur Bewältigung der Lebensmitte, die fernöstliche Sichtweisen in den Vordergrund rückt und einen Erfahrungsbericht über den Umgang mit Trauer obendrein.
Kempten verliert im Laufe eines Jahres sowohl eine gute Freundin als auch die Mutter und erzählt von ihren anschließenden Wanderreisen durch Japan. Sie erklimmt drei Gipfel, die für jeweils drei verschiedene Lebensphasen stehen und berichtet von ihrem Umgang mit der aufkeimenden Midlife Crisis, der Dichotomie zwischen „was erwartet die Gesellschaft“ und „was brauche ich“.
„Ich sollte nach meinen Regeln gedeihen und ein Leben führen, dessen Vermächtnis in der Wirkung besteht, die ich Tag für Tag auf andere Menschen ausübe.“
Helfen soll dabei der Fokus auf das „kokoro“, das eine Vielzahl an Übersetzungen und Interpretationen in sich birgt, von der Autorin aber unter anderem sehr schön als „Herz-Achtsamkeit“ benannt wird. Dieses Hören auf die innere Stimme hilft auf verschiedene Arten, bzw. wird durch verschiedene Ansätze erzielt. Sicherlich ist ein großer Teil davon, das achtsame Wahrnehmen der Gegenwart und der inneren Bedürfnisse laut Kempten. Das oben zitierte Loslösen von den Erwartungen anderer, bewirkt ein Versöhnen mit dem eigenen Sein und der eigenen Endlichkeit.
„Ich konnte direkt ins Auge dieses einen Moments blicken, sah das riesige Potenzial in diesem Augenblick, an diesem Ort, in dieser Welt, in meinem Leben, in unser aller Leben. Ich konnte sein, wer immer ich sein wollte. Keine Angst vor dem Tod zu haben, bedeutete, alle Vorstellungen davon, wer ich zu sein glaubte, loszulassen. Das hieß nicht unbedingt, neu anfangen zu müssen, sondern ich hatte jederzeit die Möglichkeit, es zu tun. Es war eine Einladung, jegliche fixe Idee von mir selbst aufzugeben.“
In einer Welt, in der man sich schließlich an nichts außerhalb von sich selbst klammern kann, erscheint es als das Sinnvollste und denkbar Tröstendste, sich an sein eigenes kokoro halten zu können, als den Fixpunkt schlechthin.
Was mir an diesem Buch ausgezeichnet gefällt, ist die Tatsache, dass die Autorin wissenschaftlich fundierte Informationen einbringt. Sie deutet Schriftzeichen auf verschiedene Art und Weise und beschreibt jahrhundertealte klassisch japanische Literatur dazu. All das ist mir völlig fremd, aber der Zugang ist für mich der Richtige. Das Geschriebene erreicht mich. Die Trauerphasen der Autorin, die uns allen im Laufe des Lebens nicht erspart bleiben, machen das Buch authentisch und greifbar. Man spürt den Schmerz und das Herzblut hinter den Zeilen. Beth Kempten ist mit „Kokoro“ ein sehr schönes, warmherziges Buch gelungen, das zum Nachdenken über Leben und Tod anregt und zum Auseinandersetzen mit der japanischen Kultur. Ihre anderen Bücher werde ich mir sehr genau ansehen und dieses hier ist definitiv einen Reread wert!