Ein schmaler Grat zwischen Mitbetroffenheit und Mittäterschaft?

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mrscatastrophy Avatar

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Noch ein Metoo-Roman? Ja, und ein wichtiger noch dazu.
Protagonistin (und "Komplizin"?) ist die ehemalige Produktionsassistentin Sarah Lai, die mittlerweile als Universitätsdozentin arbeitet.
Vor etwa 15 Jahren begann ihr hart erkämpfter Aufstieg, der sie bis zur faktischen Produktionsleitung eines Indie-Films in Hollywood führte. Eines Films, der die Hauptdarstellerin schlagartig bekannt machte und diverse Preise abräumte. Danach zog sich Lai aus dem Filmgeschäft zurück. 10 Jahre später wird sie von einem New York Times-Journalisten kontaktiert: Dem Finanzier des Indie-Films, Hugo North, werden sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch vorgeworfen.

Sarah hat die Chance, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Dabei muss sie sich mit den Mechanismen hinter den Kulissen auseinandersetzen, die diese Täter schützen und stützen, die Abhängigkeiten produzieren und die Betroffenen zum Schweigen zwingen - und mit ihrer Rolle darin: "Ich denke an diese nervige existenzialistische Fragestellung: Wenn im Wald ein Baum umstürzt und niemand es hört… Ich frage mich, wie viele Bäume noch umstürzen müssen, bevor uns klar wird, dass der ganze Wald zusammenbricht." (S. 343)

Die Autorin Winnie M Li hat selbst Filme produziert und 2017 einen Roman über ihre eigenen Vergewaltigungserfahrungen geschrieben. "Komplizin" bohrt tiefer und lenkt den Fokus auf die Strukturen, die trotz #metoo viel zu wenig erschüttert wurden.

Sprachlich reißt das Buch mit, ich habe es innerhalb weniger Tage gelesen. Die Charaktere sind vielschichtig und ambivalent. Die Figur und gesellschaftliche Position Sarahs, die es als Tochter chinesischer Immigrant*innen gegen diverse Widerstände zwar zeitweise geschafft hat, deren Erfolge aber immer wieder aufgrund klassistischer, rassistischer und sexistischer Klischees infrage gestellt werden, ist sehr überzeugend modelliert. Damit ist das Buch nicht nur ein weiterer Roman im Zuge der Metoo-Bewegung, sondern einer, der auch die spezifischen Auswirkungen von antiasiatischem Rassismus einbezieht. Dies jedoch nicht moralisierend oder viktimisierend, sondern durch die nüchterne Schilderung ziemlich entwaffnend.
Mir hat der Roman, sofern man das bei diesem Thema sagen kann, sehr gut gefallen und auch das Cover finde ich weiterhin sehr gelungen. Ich empfehle aber, bei Interesse die Leseprobe dem Klappentext vorzuziehen, denn mir persönlich spoilert der Klappentext deutlich zu viel.