Sich mit Geld alles erlauben

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jackolino Avatar

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Winnie M Li greift mit ihrem Buch "Komplizin" ein sehr aktuelles Thema auf.
Das Titelbild ist insofern gut gewählt, als sich das Gesicht der Protagonistin hinter einem Filmstreifen verbirgt. Sie ist damit zwar nicht ganz unsichtbar, aber auch kaum wiedererkennbar. Sarah war immer die fleißige Maus im Hintergrund, im Rampenlicht standen andere.

Sarah Lai, Tochter chinesischer Immigranten in New York, ist seit Kindertagen von Filmen und dem Kino begeistert.
Die Jobsuche nach dem Studium im Jahr 2006 gestaltet sich für sie aber gar nicht so einfach und so nimmt sie eine Praktikumsstelle bei einer Filmproduktionsfirma an. Zunächst einmal Mädchen für alles, gelingt es ihr mit der Zeit, auch anspruchsvollere Arbeiten übernehmen zu dürfen. Ihre Stärke liegt u.a. im Überarbeiten von Drehbüchern und ein solches Drehbuch, verfilmt von dem aufstrebenden Regisseur Xander Schulz, ebenfalls Teilhaber der Produktionsfirma, schafft es tatsächlich auf die Filmfestspiele von Cannes.
Hiermit beginnt auch Sarahs Stern zu leuchten, ihr wird mehr zugetraut, auch wenn sie immer noch ganz wenig verdient. Kurz darauf hat die kleine Firma nichts dagegen, als ein englischer Milliardär, Hugo North, sich einkauft. Plötzlich viel Geld zu haben erleichtert im Filmbusiness einiges. Täglich gibt es Parties, jeder Grund zum Feiern wird ausgenutzt und schon steht der zweite Film in den Startlöchern. Sarah wird auf eine junge Frau aufmerksam, die ihr für die neue Rolle genau richtig erscheint, Holly Randolph, und tatsächlich wird sie die Hauptdarstellerin und freundet sich mit Sarah an.
Die Dreharbeiten finden in Hollywood statt und auch dort jagt eine Party die andere. Alkohol und Drogen sind an der Tagesordnung, die beiden Männer, Schulz und North, sind ständig von jungen Models und Möchtegern-Schauspielerinnen umringt und die Frauen scheinen willig zu sein. Dennoch ist das offenbar für North nicht genug. Er sieht sich – aufgrund seines Geldes – als absoluter Herrscher am Set und stellt auch Sarah nach und greift sie an. Auch ihre Kolleginnen scheinen Ziel seiner Angriffe zu werden.
10 Jahre danach, 2016, in der Zeit von me-too und den Enthüllungen rund um Harvey Weinstein, nehmen sich renommierte Zeitungen dieses Themas an. Thom Gallagher von der New York Times hat Sarah und andere damalige Wegbegleiterinnen ausfindig gemacht und interviewt sie zu diesem Thema.
Sarah ist mittlerweile Dozentin an einer unbekannten Hochschule und unterrichtet Filmen. Natürlich blickt sie mit Wehmut auf diese aufregende Zeit zurück, aber auch ein gewisses Schuldgefühl hat sie nie ganz verlassen. Hätte sie damals Holly und Courtney vor diesen Gefahren warnen müssen? War es während ihrer Verantwortung als Produktionsleiterin, dass ihre Kolleginnen grausam vergewaltigt wurden.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, sich nach so langer Zeit an North rächen zu wollen. Ihre Leistung ist weder vom Regisseur noch vom Geldgeber jemals gewürdigt worden. Zurückhaltung und devotes Verhalten, wie man es als Tochter chinesischer Immigranten lernt, sind am Filmset fehl am Platz. Hier zählt Selbstbewusstsein und am besten viel Geld. Geld führt zu Macht und Macht macht allmächtig.
Sie war nicht auf Ruhm aus gewesen. Aber sie wollte gesehen, gehört, in Erinnerung behalten werden.
Und so steht hinter dem Thema der körperlichen Erniedrigung von Frauen das Thema der Nicht-Anerkennung ihrer Leistungen, das mindestens so stark an ihnen nagt wie die Herabstufung auf ein Sexualobjekt.

Das Buch trägt auf jeden Fall dazu bei, diesem Thema Gewicht zu verleihen.
Die weitere Aufdeckung von Missbrauchsfällen auch in anderen Sparten des Showbusiness zeigt, wie wichtig es ist, darüber zu sprechen und Frauen Mut zu machen, an die Öffentlichkeit zu gehen.