Weitere Perspektive zu #metoo

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Sarah lebt bescheiden. Nur ihr Name im Abspann eines großen Filmes erinnert daran, dass sie mal kurz davor stand als Produzentin in der Filmwelt durchzustarten, aber daran will sie nicht zurückdenken. Bis Thom, ein Journalisten der New York Times, sie interviewen will. Widerwillig sagt sie zu und bricht nach 10 Jahren ihr Schweigen wie so viele anderen Frauen.
„Komplizin“ von Winnie M Li ist eines meiner Jahreshighlights. Ich konnte es nicht aus der Hand legen. Auch wenn es sich um eine bekannte Geschichte handelt und vieles seit #metoo öffentlich wurde, erzählt Winnie M Li eine neue Perspektive. In Sarah vereint sie Opfer und Täterin, wobei nur Sarah selbst sich als Täterin wahrnimmt und durch ihre Schuldgefühle und die Scham, nicht anders gehandelt, nicht verhindert zu haben in eine erbarmungslose Lethargie versinkt.
Oft schmerzt es Sarah zuzuhören, die Frauen anfangs noch aus männlicher Sicht bewertet; die Missbrauch nicht erkennen will; die die Verantwortung bei den Frauen sieht, egal ob sie sich blenden ließen von Geld, Macht und Versprechungen oder schlichtweg zur falschen Zeit am falschen Ort waren; die nicht nur nicht „Nein“ sagten, sondern „Ja“, um daraus Profit zu schlagen, weil die Branche nun mal so ist.
Bücher, die im Filmuniversum angesiedelt sind, lese ich eh gern und dieser Roman setzt noch einen drauf, indem es ein Thema behandelt, dass wichtig ist, das zu oft noch abgetan wird und über das gesprochen werden muss, damit endlich Veränderung stattfindet. Winnie M Li macht das so szenisch, so einnehmend und so direkt, dass ich das Gefühl hatte, Sarah gegenüber zu sitzen. Manchmal hat sie mich aufgeregt, weil ihre Sicht auf Frauen so ungerecht ist, aber so war das, so ist das oft immer noch. Victim blaming findet immer noch statt, Frauen wird immer noch nicht geglaubt, Täter immer noch beschützt, zu Missständen immer noch geschwiegen.
Sprachlich liefert sie auch noch ab. Mehr kann man von einem guten Roman nicht verlangen. Absolut lesenswert!