aufwühlend

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petral. Avatar

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In "Kontur eines Lebens" erzählt Jaap Robben die bewegende Lebensgeschichte von Frieda Tendeloo und sie beginnt fast am Ende ihres Lebens, als ihr geliebter Mann Louis ganz plötzlich stirbt.
Nie hätte sie gedacht, dass er einmal vor ihr sterben würde, denn eigentlich ist sie diejenige, die schon seit Jahren auf seine Hilfe angewiesen war. Und Louis hat sich sehr liebevoll um seine geliebte Ida gekümmert, er wollte auf jeden Fall verhindern, dass sie jemand anders pflegen muss. Doch nun, da er tot ist, ist es unvermeidlich, Frieda muss ins Pflegeheim ziehen.
Ihr Sohn Tobias und seine schwangere Frau Nadine, helfen ihr beim Umzug und beim Ausräumen des Hauses, so viel sie können und schließlich ist es soweit, die erste Nacht im Pflegeheim ist da.
Schlaflos liegt Frieda in ihrem Bett, am nächsten Morgen wird sie zum ersten Mal nicht von Louis gewaschen, sondern von einem fremden jungen Pfleger. Der Autor hat diese Situation so einfühlsam beschrieben, dass man Friedas Scham, so nackt und schutzlos vor einem fremden Menschen zu sitzen, sich von ihm waschen zu lassen, Windeln wechseln zu lassen, direkt mitfühlt. Und in dieser einsamen , fremden Umgebung sitzt Frieda nun tagsüber oft einfach in ihrem Stuhl vor dem Fenster, oder liegt nächtelang wach und sie erinnert sich an ihr vergangenes Leben und an ihren schlimmsten seelischen Schmerz, den sie viele Jahre verdrängt hat und von dem nicht einmal ihr geliebter Mann etwas geahnt hatte. Denn vor Louis gab es schon einen Mann in Idas Leben, Otto. Schon bei ihrer ersten Begegnung war Ida fasziniert von ihm und obwohl sie schnell von Ottos Ehefrau erfuhr, lies sie sich auf eine Liebesbeziehung mit ihm ein und wurde schließlich von ihm schwanger.
Und eine unverheiratete schwangere Frau , das war in den Sechzigerjahren eine Katastrophe. Ida wollte dieses Kind behalten, egal, wie schwer es ihr von ihrem Umfeld gemacht wurde. Doch Idas Kampf um ihr Baby und um ein Leben, wie sie es sich vorstellte, endete in einem Albtraum. Otto war weg, das Kind war weg , Ida trauerte um beide, doch irgendwann ging ihr Leben weiter, sie lernte Louis kennen, heiratete ihn, bekam mit ihm einen Sohn und ihre schlimmen Erinnerungen vergrub sie ganz tief in ihrem Herzen und sprach mit keinem Menschen darüber.

Doch nun im Pflegeheim kommt alles wieder hoch, Ida spürt den Schmerz von damals noch einmal mit voller Wucht und endlich, nach so vielen Jahren stellt sie sich diesen Erinnerungen und fängt sogar ganz vorsichtig an, diese Erinnerungen zu teilen.

Was für ein bewegendes, tieftrauriges Buch, ich glaube, das wird mir so schnell nicht aus dem Kopf gehen. Wenn man darüber nachdenkt, dass Frauen vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich so behandelt wurden, nur weil sie unverheiratet schwanger wurden. Wie herzlos man sogar in Kliniken mit ihnen umging, einfach unfassbar und so traurig, sich das vorzustellen. Aber obwohl es teilweise richtig hart war, konnte ich nicht mehr aufhören zu lesen. Ich habe dabei alle möglichen Emotionen erlebt, ich war sauer auf Otto, auf Friedas Eltern, eigentlich auf ihre gesamte Umgebung. Ich war traurig, weil Frauen so unmenschlich behandelt wurden.
Aber sogar Frieda hat mich oft wütend gemacht, ihre abweisende , schroffe, manchmal auch fordernde Art, ihrem Sohn gegenüber. Ich konnte es im Nachhinein zwar schon verstehen, dass ihr traumatisches Erlebnis aus der Vergangenheit, sie zu dem schwierigen Menschen gemacht hat, aber ich hatte auch Mitleid mit ihrem Sohn, wenn sie so kalt und irgendwie herzlos reagiert hat. Dieses Buch ist ein echtes Highlight für mich, ich bin so begeistert von Jaap Robbens einfühlsamen Schreibstil, dass ich sofort über weitere Bücher von ihm recherchieren musste. Leider gibt es wohl aber, bis auf ein einziges ( Birk), bisher keine deutschen Übersetzungen seiner Bücher. Aber ich werde mir den Namen "Jaap Robben" auf jeden Fall merken und hoffe, er schreibt noch viele weitere Bücher in der Art. Wer gerne Bücher liest, die man nicht mehr so schnell vergisst und die einen mitten ins Herz treffen, der sollte "Kontur eines Lebens" unbedingt lesen.