Die Zeit heilt nicht alle Wunden

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readaholic Avatar

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Nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemanns muss die 81jährige pflegebedürftige Frieda in ein Seniorenheim ziehen. Ihr gesamtes Leben gerät aus den Fugen. Ein wohlmeinender Pfleger löst durch eine unbedachte Aktion traumatische Erinnerungen bei ihr aus, die sie ihr ganzes Leben verdrängt hatte.
Als junge Frau hatte sich Frieda in den verheirateten Otto verliebt und war von ihm schwanger geworden. Otto will von dem Kind nichts wissen und seine Ehe nicht gefährden. Halbherzig versucht er, Frieda zu helfen, als diese von den Eltern vor die Tür gesetzt wird. Als „gefallenes Mädchen“ ist es in der holländischen Provinz in den 1960er Jahren jedoch unmöglich, eine halbwegs akzeptable Bleibe zu finden. Es ist herzzerreißend zu lesen, wie herablassend Frieda behandelt wird und sich alle, Freunde, Familie, Arbeitgeber, von ihr abwenden. Unter menschenunwürdigen Bedingungen bringt sie ihr Kind zur Welt.
Wie zu erwarten, ist Frieda keine glückliche Mutterschaft gegönnt. Zu Otto hat sie keinen Kontakt mehr. Sie heiratet, bekommt ein zweites Kind und verdrängt die schrecklichen Ereignisse für viele Jahrzehnte.
Die Geschichte wird abwechselnd in der Jetztzeit und der Vergangenheit erzählt, wir erleben Frieda also als alte, entwurzelte Frau, die ins Heim abgeschoben wurde, und als junge hoffnungsvolle Frau, die das ganze Leben noch vor sich hat. Die eigenwillige Frieda war mir ausgesprochen sympathisch, ich habe sehr viel Empathie für sie empfunden. Ich fand es im Übrigen ganz erstaunlich, wie gut es einem männlichen Autor gelungen ist, Empfindungen einer Frau, beispielsweise während der Geburt, zu schildern. Die einzelnen Charaktere sind sehr gut herausgearbeitet und die Schilderungen so lebendig, dass man meint, dabei zu sein, beziehungsweise die Situation selbst zu erleben. Auf mich hat dieses Buch eine Sogwirkung ausgeübt. Der Autor setzt mit diesem Buch allen Frauen dieser Generation ein Denkmal, die in einer ähnlichen Situation waren und diese Art der Ausgrenzung erleben mussten. Ein außergewöhnliches Buch mit wunderschön gestaltetem Cover (und Lesebändchen, was ich sehr schätze). Absolute Leseempfehlung!