Ich habe zwei Füße gesehen

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owenmeany Avatar

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Die Erzählung von Frieda beginnt sachte und unspektakulär. Ähnliches hat man ja bereits gelesen vom Umzug Hochbetagter ins Heim, anlässlich dessen sie ihr Leben noch einmal rekapitulieren. Das Resultat davon wird dem Leser in den Rückblenden offenbar, die gleich zu Anfang einen gewaltigen Kontrast abbilden zwischen den beiden Friedas.

Als junge Frau nimmt sie uns für sich ein, fröhlich und beherzt ihr Leben in die Hand nehmend und sich unbefangen verliebend, leider in einen verheirateten Mann. Die bildhaften Naturschilderungen stimmen mich ein auf eine leidenschaftliche Liebe, glaubhaft durch explizite Sexdarstellungen, die jedoch nie ins Geschmacklose abdriften.

Übellaunig und abweisend sogar ihrem Sohn gegenüber erscheint die alte Frieda mit oft erschreckenden und unverständlichen Reaktionen - alles andere als eine Sympathieträgerin. Es muss also einen Bruch gegeben haben in ihrem Leben, kein Wunder angesichts der problematischen Konstellation. Stück für Stück decken das die Rückblicke auf, und ganz allmählich entfaltet sich eine Spannung, als´man die verstörenden Vorkommnisse in der Verschränkung mit dem Vergangenen versteht und die Erschütterung spürt.

Unglaublich, wie man mit Frauen damals umging. Hier erfahren wir authentisch, was Traumata in Menschen verursachen können - bis ins hohe Alter hinein, wenn sie nicht durch fachliche Hilfe bewältigt werden.

Ganz am Ende wird klar, dass die heutigen Regelungen und Errungenschaften im Zusammenhang mit Geburt und Tod aus unerträglich schmerzhaften Erfahrungen wie der hier erzählten resultieren und deshalb unbedingt ernst genommen werden müssen. Dieser in den Charakteren außerordentlich differenzierte Roman führt uns das überzeugend vor Augen durch ein Crescendo zum Schluss hin bis zum nachhallenden finalen Paukenschlag.