Dad Lewis letzter Sommer - "Kostbare Tage" von Kent Haruf

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herrfabel Avatar

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Es geht zurück nach Colorado oder besser gesagt in die Kleinstadt Holt. Nach Kent Harufs sehr bewegenden Romanen "Lied der Weite" und "Abendrot" findet die Plainsong-Reihe nun mit "Die kostbaren Tage" ein gebührendes Ende.

Manchmal kann es schnell gehen. Als Dad Lewis von seinem Arzt die Diagnose Krebs erhält, ist sein Ende bereits zum Greifen nah. Ein guter Monat soll ihm noch bleiben und so vegetiert er nun im Sessel vor dem Fenster, schaut der sich stetig verändernden Umgebung, seinen Nachbarn und dem kleinen Mädchen Alice, das neuerdings Radfahren übt, zu. Seine Angestellten und Freunde aus der Eisenwarenhandlung leisten ihm wöchentlich Gesellschaft und auch die Erinnerungen holen ihn bruchstückhaft wieder ein. Das ist er nun, der Abschied. Seine Tochter kommt seiner Frau und ihm zur Hilfe, kutschiert ihn noch einmal durch die kleine Stadt, besucht mit ihm erinnerungsträchtige Orte und so verweilen sie zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Von seinem Sohn hat Dad schon lange nichts mehr gehört, er brach frühzeitig den Kontakt zu seiner Familie ab und ging seiner Wege. Die letzten Worte bleiben ihm nur in Gedanken, vielleicht wird er ihm jemals verzeihen, vielleicht wird er von Dads letzten Stunden niemals erfahren. "Kostbare Tage" ist eine berührende Familiengeschichte und ein Buch über Vertrautheit, Liebe und den Abschied für immer.

"Er würde also sterben. Das war es, was sie gesagt hatten. Noch ehe der Sommer vorbei war, wäre er tot. Anfang September würde man draußen auf dem Friedhof, drei Meilen östlich von der Stadt, Erde über ihn schütten, auf das, was von ihm übrig war. Man würde seinen Namen auf einen Grabstein meißeln, und dann wäre es so, als hätte es ihn nie gegeben."


An sich habe ich mich lange auf eine weitere Fortsetzung der Reihe gefreut. Die Geschichte um Victoria und die McPheron Brüder hatte es mir dann doch sehr angetan. Nach dem Tod des einen Bruders und den neuen Herausforderungen des Lebens blieben noch einige Fragen offen und ich hatte mir nun Antworten erhofft. Leider blieb diese Erwartung unerfüllt. "Kostbare Tage" bezieht sich bis auf einen kleinen Absatz und die Tatsache, dass auch diese Geschichte in Holt spielt, so gar nicht auf die beiden vorherigen Teile. Und das hat mir dieses Buch dann irgendwie etwas madig gemacht. Das heißt zwar nicht, dass ich diesen Roman so gar nicht mochte, aber es war eben anders.
Losgelöst von meiner Erwartungshaltung fand ich den Abschied und die letzten Lebenstage von Dad nämlich sehr bewegend. Kent Haruf erzählt sehr unaufgeregt und gefühlvoll von den Gedanken, Erlebnissen und dem Freundschaftgefüge seiner Protagonisten. Der plötzliche Krebsbefund und die damit einhergehende Schwäche und Endlichkeit des Lebens hat mich aber nicht nur mitgenommen, sondern auch sehr dankbar für das Jetzt gemacht. Krebs ist keine neuartige Erkrankung und beinahe jeder hat in seinem (entfernten) Bekanntenkreis sicherlich schon Berührungspunkte gehabt und eben dann auch erlebt, wie schnell es gehen kann. Und gerade das macht einen nachdenklich. "Kostbare Tage" ist ein melancholisch, bewegender und vor allem menschlicher Roman über den Abschied und irgendwie auch über das Loslassen. Damit beinhaltet jedes Buch nun etwas über ganz entscheidende Phasen des Lebens von dem Aufbruch, der Ankunft, den Herausforderungen bis hin zum Ende. Für alle, die ruhigere Romane über das Leben lieben, ist Haruf eigentlich schon eine Art must-read. Eine sehr große Leseempfehlung!