Dem Dämon auf der Spur

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hennie Avatar

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Das Buch von Øistein Borge wird als die Krimi-Entdeckung aus Skandinavien beworben. Ich kann dem nur voll und ganz zustimmen. Ja, „Kreuzschnitt“ ist ein spannender norwegischer Krimi, dessen Handlung zum größten Teil in Südfrankreich an der Côte d´Azur spielt.

Es beginnt dramatisch mit dem Prolog – in nur wenig kursiv geschriebenen Zeilen - , die das Leben des Osloer Kriminalisten Bogart Bull vollkommen auf den Kopf stellen. Von jetzt auf gleich verliert er durch einen durchgeknallten Verbrechertypen, der sich erbarmungslos an ihm rächen will, seine Frau Frida und seine Tochter Anine. Darüber büßt Bogart seinen Halt, seinen Lebenswillen ein und wird zum Alkoholiker. Er fällt in ein tiefes Loch, aus dem ihm der Vater und eine kluge, fähige Chefin wieder heraushelfen. Eva Heiberg bietet dem verzweifelten Mann eine neue berufliche Perspektive bei Europol. In enger Zusammenarbeit mit der französischen Polizei fängt Bogart an, den viehischen Mord an dem superreichen Norweger Axel Krogh zu untersuchen.

In 35 Kapiteln verbindet Øistein Borge Zeitebenen, Handlungsstränge, Personen, bei denen ich mir die Frage stellte, wie soll das alles jemals in eine Geschichte, in ein Ergebnis münden? Doch der Autor schreibt das so fesselnd, dass ich die Seiten regelrecht verschlungen habe.
Es sind vier Zeiten, die beschrieben werden: 1906, 1918, 1943 und 2014. Vollkommen unerwartet wird der Leser plötzlich aus der Gegenwart zurückversetzt in eine andere Zeitebene. Es ist das Jahr 1906 und wir treffen auf berühmte Malerpersönlichkeiten wie Henri Matisse, Edvard Munch, Kees van Dongen, André Derain, Georges Rouault und Othon Friesz. Sie gelten heute zu den Malern des Fauvismus, der klassischen Moderne. Nur der
Jüngste unter ihnen, Santiago Gaillard, ist fiktiv. Sie kommen aus einer Laune heraus überein, dass jeder ein kleines Dämonenbild malt und diese sieben Originale zusammen bei Santiago verbleiben. So weit, so gut.
Im Jahre 1943 schließlich befinden wir uns mitten im Krieg, in der Zeit des französischen Widerstandes gegen die Deutschen. Blutige Kapitel voller Grausamkeit, Brutalität und schändlicher Verbrechen. Nichts für zartbesaitete Gemüter! Doch Borge berichtet von der Realität. Wiederum Zahnräder im Fortgang des Geschehens sind Santiago Gaillard, einer der vielen Maquisards und sein Sohn gleichen Namens, aber Tigo genannt, ein Junge noch. Die Zeiträume wechseln ständig und mit Bull und dem französischen Kommissar Moulin ist man mittendrin, aber trotzdem steigt man nicht dahinter. Spuren führen ins Leere oder in die Irre. Die Schauplätze wechseln, doch auch, wenn man eins und eins zusammenzählt, die Fälle wollen erst einmal nicht zusammenpassen.

Mein Fazit:
„Kreuzschnitt“ ist für mich kein x-beliebiger 0815-Krimi, sondern bekommt von mir das Prädikat: „besonders wertvoll“.
Die dynamische Handlung mit bewegenden und schrecklichen Momenten ist durch überraschende Wendungen gekennzeichnet. Die Charaktere finde ich meisterhaft und vor allem realistisch dargestellt. Ich konnte sie mir uneingeschränkt vorstellen. Kommissar Bull ist zwar vom Schicksal arg gebeutelt, aber wie er sowohl mit den französischen Kollegen als auch ansonsten mit den Menschen umgeht, gefällt mir sehr. Eine Fortsetzung mit ihm wünsche ich mir, Herr Borge!
Das Cover paßt, hat aber mit der modernistischen Villa des Axel Krogh (ausgeführt durch den norwegischen Architekten Sverre Fehn) nichts gemein.

Ich vergebe fünf von fünf Sternen und meine unbedingte Lese/Kaufempfehlung!