Kritik der mörderischen Vernunft

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scylla Avatar

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_„ Der freie Wille ist (k)eine Illusion."_

Ein Hirnforscher wird brutal ermordet. Wenig später wird auch auf seinen Kollegen ein Mordanschlag verübt. Der Mörder nennt sich „Kant" und schickt dem Journalisten Troller mysteriöse E- Mails, die seinen Taten rechtfertigen sollen. Troller versucht mit seiner Kollegin Jane den Mörder ausfindig zu machen und kommt nach und nach seinen wahren Beweggründen auf die Spur. „Kant" sieht den freien Willen des Menschen bedroht und mordet um ihn zu schützen. Nur Troller kann ihn aufhalten, denn er scheint auf irgendeine Art mit dem Mörder verbunden zu sein.

In diesem Buch werden die neuesten Entwicklungen in der Hirnforschung mit Fragen der Philosophie, Ethik und Religion verknüpft. Daher sollte man etwas Interesse für die Wissenschaft und vor allem für die Hirnforschung mitbringen, um sich für das Buch begeistern zu können. Der philosophische Teil ist dagegen jedoch recht kurz und einfach gehalten und ist auch für Laien gut verständlich. Es werden nur diejenigen Aspekte aus der Philosophie von Immanuel Kant beleuchtet, die für die Hintergründe der Handlung wichtig sind. Auch sind die rein wissenschaftlichen oder philosophischen Abschnitte immer zwischen Kapitel mit vielen Aktionen, Höhepunkten und Wendungen eingebettet, sodass keine Langeweile aufkommt. Das macht das Buch flüssig und schnell zu lesen und vermittelt sozusagen ganz nebenbei den Wissensstand der Hirnforschung.

Trotz des für manche eher trockenen Themas ist das Buch sehr lebendig geschrieben. Der Autor hat ein Gespür für die alltäglichen Dinge, die die Menschen beschäftigen, und schafft es diese durch eine lockere, teilweise sogar amüsante Sprache, dem Leser nahe zu bringen. Durch die Einflechtung einer Beziehungsgeschichte wird die Handlung zusätzlich aufgelockert. Die Personen sind authentisch und glaubwürdig. Ein weiterer Pluspunkt für das Buch sind die detailgetreu recherchierten Schauplätze in Berlin und Potsdam. Es gibt nicht viele Thriller, die in Deutschland spielen und dann auch noch so realitätsnah geschrieben sind. Man kann sich sofort mit dem ganzen Buch identifizieren und wird viel stärker angesprochen, als wenn der Thriller in den USA oder anderswo spielen würde.

Insgesamt gesehen ist in diesem Buch mehr Realität als Fiktion zu finden, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. Es wird ein Bild von einem Menschen gezeichnet, der gleich einem Roboter von den Wissenschaftlern ferngesteuert wird. Ein freier Wille und eine Moral existieren nicht mehr, die Gedanken jedes Menschen werden kontrolliert und bei Bedarf umprogrammiert. Dies alles scheint sehr weit hergeholt zu sein, ferne Zukunft oder sogar Science-Fiktion. Man braucht jedoch nicht lange zu recherchieren bis man Wissenschaftler mit ganz ähnlichen Ideen und Ansichten auch schon heute findet. Denn auch das im Buch angesprochene „Manifest" ist schon längst Realität. Durch Zitate von wirklich existierenden Wissenschaftlern, die in den Roman eingearbeitet wurden, oder den Anhang, in dem der Autor seine Quellen selbst auflistet, ist die Recherche denkbar einfach. Es ist teilweise wirklich erschreckend wie sehr sich die realen Interviews mit denen gleichen, die Troller in dem Roman führt und die der unwissende Leser als Fiktion abtut.

Daher ist die Hauptintention des Autors schnell zu erkennen: Er will auf die Gefahren der Wissenschaft und besonders die der Hirnforschung aufmerksam machen und den Leser dazu bewegen nicht jede wissenschaftliche Entwicklung als positiv anzusehen oder sich on den Versprechen der Wissenschaftler zur ausschließlich positiven Nutzung ihrer Erkenntnisse blenden zu lassen. Man könnte das Buch schon fast wissenschaftsfeindlich nennen, denn es beschreibt ein ausschließlich negatives Bild der Wissenschaft. Das ist sicherlich notwendig, da meist nur eine krasse Darstellung der Gefahren den Leser zum nachdenken anregen kann. Trotzdem kann ich den Verallgemeinerungen von der Hirnforschung auf die gesamte Wissenschaft in manchen Passagen nicht zustimmen. Auch die Tatsache, dass die Religion von einigen Wissenschaftlern im Buch als „gefährliche Geisteskrankheit, die um jeden Preis ausgerottet werden muss," dargestellt wird, dürfte den Unmut einiger Leser erregen.

Insgesamt gesehen würde ich das Buch trotzdem jedem empfehlen, da es anspruchsvoll und trotzdem sehr interessant und flüssig zu lesen ist. Es regt dazu an die eigene Einstellung zur Wissenschaft zu überdenken und sich bewusst zumachen, dass eine Medaille immer zwei Seiten hat. Das alles wird verpackt in einem Thriller, der ohne überspitzte Actionpassagen auskommt und trotzdem bis zur letzten Seite spannend ist.