Eine Leseprobe voller Eselsohren

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
caro_phie Avatar

Von

Es ist ein heißer Sommertag, an dem Jirka nach fünf Jahren im Internat auf den Hof seines Vaters zurückkehrt. “Warum?” fragt man sich als Leser*in, denn der Brief vom Kreiswehramt ist ganz eindeutig nicht der einzige Grund für den Besuch. Und warum hat er die Familie damals verlassen? Liegt es an dem frühen Tod seiner Mutter in der Psychatrie? An der physischen und psychischen Gewalt durch seinen Vater?

Bereits auf den ersten Seiten entfaltet der Roman einen unglaublichen Sog. Gekonnt verwebt die Autorin die Gegenwart mit Jirkas Erinnerungen: An die heruntergeschluckten Tränen bei der Beerdigung seiner Mutter, die wie Steine in seinem Bauch lagen. An die Tage im Hundezwinger, wo ihn sein Vater eingesperrt hat. An den Hofverwalter, der als Einziger, so scheint es, immer ein nettes Wort für den Jungen übrig hat.

Julja Linhof findet in ihrem Debütroman eine unglaublich bildgewaltige und gleichzeitig poetische Sprache, die mich bereits auf diesen ersten Seiten tief berührt hat. Man spürt und riecht die Hitze, an diesem entlegenen Ort, an den Jirka zurückkehrt, sieht den verwilderten Hof vor sich, über den sich Jirka wie ein Fremdkörper bewegt, liest aus jedem Wort das Schweigen heraus, das Jirka entgegenschlägt.

“Vielleicht ist das immer so, wenn man wieder in die Heimat zurückgeht. Einen Teil bringt man mit, und einen Teil lässt man hinter sich. Einen Teil hat man für immer abgestreift, als man Jahre davor aufgebrochen ist, und einen anderen zieht man wieder bereitwillig über, obwohl er unbequem geworden ist. Wie bei einem alten Pullover, den man früher oft getragen hat und der jetzt nicht mehr passt.” (S.10)

Es sind solche Zitate, die mich bereits jetzt in den Bann geschlagen haben, die für jede Menge virtuelle Eselsohren auf den wenigen Seiten der Leseprobe gesorgt haben und mich inständig hoffen lassen, dass ich ganz bald das Buch in den Händen halten darf.