Gutshaus der Grausamkeiten

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Beim Betrachten des Covers spürt man bereits die drückende Sommerhitze in der westfälischen Landschaft. Und im Innern des Romans schwelen tatsächlich einige jahrelang ungelöste Familienprobleme. Jirka verlor früh seine Mutter, die zuletzt in der Psychiatrie lebte. Er wurde als Kind vom Vater und der älteren Schwester misshandelt. Außerdem hat er eine Großmutter, deren Lieblingsbeschäftigung es zu sein schien, Angst zu verbreiten - bevor sie an Demenz erkrankte. Ertränkte Katzen, erschossener Hund - der überforderte Gutsherr des heruntergewirtschafteten Hofes lässt kaum etwas aus, das man sich über die Nachkriegszeit in der deutschen Provinz so erzählt. Die deutlich später geborene Autorin hat sich hier sozusagen an einem historischen Roman versucht und dabei recherchiert: Requisiten (Taunus, Kassetten mit Italo-Pop) und schwarze Pädagogik/ Schwimmunterricht, der auf eine Art Überraschungsmoment abzielt.
Atmosphärisch ist das Buch ein klarer Fall für fünf Sterne. Die Sprache ist voller ausdrucksstarker Metaphern, die die Stimmung tief unter die Haut des Lesers transportieren. Einen Schwachpunkt sehe ich allerdings in der Handlung, die um einige wenige Personen kreist. Man rechnet mit einem Impuls von außen, aber da kommt nichts. Die tragische Verbindung der Geschwister ist zum Teil widersprüchlich, das Versagen der Eltern unwiederbringlich prägend, die Rolle des Verwaltersohnes unklar. Noch seltsamer: Henning. Die Charaktere agieren nahezu immer unlogisch. Vielleicht soll das alles auf den Grad der Verzweiflung hindeuten. Dieser ist schließlich enorm. Das Buch ist ein ganz guter Griff für Krimi- oder Horror-Fans. Es spielt, etwas unkonventionell unter freiem Himmel, mit einer Hermetik des Raumes im Stil von Edgar Allan Poe. Über allem schwebt ein Hauch vom frühen Ian McEwan/ Zementgarten.
Wer eine psychologisch durchdachte Familiengeschichte lesen möchte, stößt hier an eine Grenze.